175 Jahre Fotografie

Vor 175 Jahren erfand Henry Fox Talbot das Negativ-Positiv-Verfahren. Seine Erfindung gilt als Geburtsstunde der Fotografie.

Im Sommer 1835 entwickelte Henry Fox Talbot ein chemisches Verfahren, mit dem es möglich wurde, Papierbeschichtungen zu entwickeln, die zur Verwendung in einer Kamera geeignet waren. Er erkannte dabei, dass man mit diesem Verfahren auch Negative erhielt, die wieder beliebig oft auf ein lichtempfindliches Papier kopiert werden konnten. Ein Ergebnis seiner Experimente gilt als das früheste erhaltene Papiernegativ. Die kleine Aufnahme, nur wenige Zentimeter große Aufnahme zeigt ein Erkerfenster auf seinem Anwesen Lacock Abbey.

Das Fenster ist aber auch Gegenstand zweier weiterer frühen Fotografien.

Bereits 1827 hatte Nicéphore Nièpce auf seinem Landgut Le Gras in Saint-Loup-de-Varennes eine Heliographie erstellt, die den Ausblick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers zeigt. Und auch eine frühe Aufnahme von Louis Daguerre, der sich das von ihm entwickelte Positiv-Verfahren unter seinem Namen patentieren ließ, zeigt einen Blick aus einem Fenster: Boulevard du Temple wurde 1838 vom Fenster seines Arbeitszimmers aus aufgenommen. Daguerres Aufnahme gilt zugleich als die älteste Fotografie, auf dem Menschen abgebildet sind. Da die erforderlichen Belichtungszeiten zu diesem Zeitpunkt noch sehr lang waren, nimmt man an, dass der Schuhputzer und sein Kunde, die im Vordergrund links zu sehen sind, absichtlich dort platziert wurden.

Die frühen Aufnahmen von Nièpce, Talbot und Daguerre bilden aber nicht nur Fenster und Fensterblicke ab. Indem sie den Blick durch ein Fenster zeigen, verdoppeln sie auch das Prinzip der Kamera, die historisch aus der Camera Obscura und ihrer strengen Geometrie der Zentralperspektive hervorging. Denn auch die Apparatur selbst bedient sich eines kleinen Fensters, durch das während einer genau bemessenen Zeit Licht auf eine empfindliche Schicht fällt, wodurch ein fotografisches Bild entsteht

Dass die Fotografie dem Fenster als Sujet unter wechselnden Gesichtspunkten und Fragestellungen bis heute treu blieb, dies zeigt auch die kleine, aber sehenswerte Ausstellung Landschaft im Decolleté, die zurzeit in den Opelvillen Rüsselsheim zu sehen ist.

Fotogene Kandidaten

Europawahl und Kommunalwahlen 2014.

Wahlplakate, die mit Porträts von Kandidaten geschmückt sind, knüpfen ein persönliches Band zwischen Kandidat und Wähler. Im Vordergrund steht weniger die Politik als Gesamtheit von Problemen und Lösungen, sondern die Repräsentation. Der Wähler findet sich in den Wahlplakaten ausgedrückt und heroisiert. Das „Ich bin wie du“, das ihm bedeutet wird, heißt auch: „Wähle mich und du wählst Dich selbst.“ Wahlplakate sind in diesem Sinne zugleich Exempel und Köder.

Wird der Porträtierte frontal dargestellt, ist dies Zeichen eines zielstrebigen, auf die Lösung von Problemen ausgerichteten Realismus. Von Bedeutung ist aber auch das wo und wie der Aufhängung.

Ein Beispiel aus Bingen.

Bingen am Rhein (2014)

Hier suggeriert die Aufhängung zum einen die Teamfähigkeit der Kandidaten: eine nicht zu unterschätzende Botschaft in einer Zeit, in der Teamfähigkeit gefragter ist denn je. Dass der Kandidat der Europawahl sich mitten unter den Kommunalkandidaten befindet, zeigt wie umfassend diese Partei den Teambegriff verstanden haben will. Aber auch programmatische Aspekte kommen nicht zu kurz. Setzt das Plakat für den Europawahlkamp mit der Hintergrundfarbe auf die traditionelle Farbe der Partei, bedient man sich bei den Plakaten für den Kommunalwahlkampf der Farbe des politischen Konkurrenten. Zum Grün passt, dass die Plakate längs eines Fahrradweges aufgehängt sind.

Landschaft im Dekolleté

Landschaft im Dekolleté. Fenster als Element und Metapher – Titel und Untertitel der aktuellen Ausstellung der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen in Rüsselsheim sind recht eigenwillig. Landschaften etwa bekommt man so gut wie keine zu sehen.  Die Ausstellung selbst aber ist sehenswert. Gezeigt werden mehr als 120 Fotografien, Videos und Objekte von verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, alle entstanden zwischen 1984 und 2013. Dass unter den ausgestellten “Schlüsselwerken” die Fenster-Fotografien etwa von Sabine Hornig oder Günther Förg nicht zu sehen sind, ist allerdings schade.

HimmelDas Fenster erscheint in den ausgestellten Fotografien, die größtenteils noch in analoger Technik aufgenommen wurden, als Schnittstelle zwischen Sichtbaren und Unsichtbaren, Gegenwartmund Vergangenheit, Bewussten und Unbewusstem, Wahrnehmung und Vorstellung. In den ausgestellten Fotografien erscheint das Fenster mal flach, opak und undurchdringlich, zuweilen setzt es aber auch Überlagerungen und Verschiebungen in Gang: Shizuka Yokomizo Porträtaufnahmen von Menschen vor ihren Fenstern, die die Kluft zwischen Fotograf und Abgebildeten versinnbildlichen ‐ Loredana Nemes’ Fotografien der Frontscheiben von türkischen und arabischen Männercafés, zu denen Frauen keinen Zutritt haben, oder ihre Porträtaufnahmen von nur schemenhaft erkennbaren Männern hinter milchigen Glasscheiben, Rollos und Gardinen ‐ Lucinda Devlins Bild einer Todeszelle, die zwar ein Fenster besitzt, durch das aber ein Blick nach draußen nicht möglich ist ‐ Thomas Florschuetz, in dessen Fensterbildern, die nach Innen geöffnet sind, Spiegelungen und Durchblicke in einer Weise gestaffelt sind, die Florschuetz zufolge „weder einen Blick nach innen, noch einen nach außen freigeben” ‐ Beatrice Mindas nächtliche und unscharfe Erinnerungsbilder an ihre fremdgewordene rumänische Heimat, die beleuchtete Fenster von Häusern zeigen und die auf den Zusammenhang zwischen Sehen und Erinnern verweisen – Marja Piriläs Porträts, in denen Außenwelt und Innenraum sich überlagern und die, nicht zuletzt durch die Verwendung der Camera Obscura-Technik, das Wunderbare wiederbeleben, das der Fotografie in ihren Anfangszeiten zugeschrieben wurde ‐ Sibylle Hoesslers Polaroidserie 18 Tage, die sie vom Krankenbett aus durch das Fenster gemacht hat und die in ihrer mosaikartigen Anordnung einen gebrochenen Ausblick auf einen monochromen, sich kaum verändernden und augenscheinlich unerreichbaren Himmel zeigt.

Von Sibylle Hoessler insbesondere ließe sich ein Bogen spannen von der Fotografie zur Malerei, etwa zu dem Symbolisten Ferdinand Hodler, der in seinen letzten Lebensmonaten von seinem Zimmer aus den Genfersee und den Mont Blanc malte. Einen Ausstellungskatalog, der solche Querverbindungen und Referenzen thematisieren könnte, gibt es aber leider nicht.

Kracauers Gespenster

Die Fotografie weist Siegfried Kracauer zufolge nicht über den Zeitpunkt ihrer Entstehung hinaus. Beharrlich zeigt sie den stets gleichen Augenblick. Ihr Gedächtnis ist ein Gedächtnis der reinen Gegenwart, die auch im Rückblick stets Gegenwart der Aufnahme bleibt.

Die daraus resultierende Entfremdung führt in Kracauers pessimistischer Bildkritik in letzter Konsequenz zum Verschwinden der Geschichte und der Erinnerung, indem die durch ein sinnstiftendes Gedächtnis getragene Erinnerung durch kontingente, nur mehr „räumliche Konfigurationen“ der fotografischen Abbildung ersetzt wird.

Die „Zeitgebundenheit“ von fotografischen Bildern, ihr Herausgelöstsein aus dem Zeitkontinuum ist aber auch der Grund dafür, dass „Gegenständlichkeit“ im fotografischen Bild stets den Anschein des Kostümierten, Puppenhafte und Gespenstischen trägt.

Dieser aus der Zeit herausgefallenen und in ihre Einzelheiten zerfallenen Fotografie begegnet der Betrachter einerseits mit einem Lachen, wobei die „Komik“ sich aus der Machtlosigkeit des Anspruchs des Kostüms auf Leben im Bild speist: „Auf der Fotografie wird das Kostüm als ein abgeworfener Rest erkannt, der sich fortbehaupten möchte. Es geht in der Summe seiner Einzelheiten auf wie eine Leiche und gebärdet sich groß, als sei Leben in ihm.“

Die eigentlich angemessene Reaktion auf fotografische Bilder ist jedoch das „Grauen“. Denn die Fotografie zeigt nach Kracauer nicht nur das „schlechthin Vergangene“, den „Abfall“. Sie führt dem Betrachter vor allem vor Augen, dass der Mensch, der ihn zuweilen aus einem Bild heraus anblickt, einmal Gegenwart war. Was als komische „Kostümpuppe“ erscheint, „ist ein Mensch gewesen“. Was der Betrachter in der Fotografie erfährt, ist die eigene Vergänglichkeit und die Gewissheit, dass auch er nur ihr Objekt ist: „Denn durch die Ornamentik des Kostüms hindurch meinen sie einen Augenblick der verflossenen Zeit zu erblicken, der Zeit, die ohne Wiederkehr abläuft. Wenn nur die Fotografie ihnen Dauer schenkte, erhielten sie sich also gar nicht über die bloße Zeit hinaus, vielmehr – die Zeit schüfe aus ihnen sich Bilder.“

„Die Zeit schüfe aus ihnen sich Bilder“ – wenn die Dargestellten durch die Zeiten geistern, dann in Gestalt ihrer Fotografien: „Nun geistert das Bild wie die Schloßfrau durch die Gegenwart. Die Fotografie wird zum Gespenst, weil die Kostümpuppe gelebt hat.“

Diesen herumgeisternden Fotografien gegenüber erscheint der Mensch machtlos. Wo Walter Benjamin in der Fotografie eine demokratische, ein Bildgedächtnis ermöglichende Präsentation der Wirklichkeit ausmachte, erscheint in Kracauers Aufsatz die Fotografie und die durch sie verursachte Flut der Bilder als Heimsuchung des Menschen. Die geschichtsphilosophische Pointe, mit der Die Photographie schließt und derzufolge es die „Zeitgebundenheit“ und Geschichtslosigkeit der Fotografie sind, die dem Menschen einen unverstellten Blick auf die Natur eröffnen und ihm vor Augen führen, dass Geschichte und Gesellschaft nur vorläufige Konstrukte sind, wirkt angesichts der vorangegangenen Bildkritik fast etwas befremdlich.

Gespenster

Geister und Gespenster gehen in der Fotografie schon immer um.

Seit der Erfindung der Fotografie ist das Pandämonium der Geisterfotografie stetig gewachsen. Eine Kleine Metaphysik der Photographie versammelt, was aus heutiger Sicht absonderlich erscheint: Aura- und Kirlianphotographien, Elfen- und Feenbilder, Fotografien von Marienerscheinungen und Materialisationen, Geisterfotografien.

Geisterfotografien spielten dabei vor allem im Spiritualismus eine wichtige Rolle. Der Spiritualismus, der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten entstand, sah in der Fotografie ein Mittel, den Glauben an das Weiterleben der Seele nach dem Tod mit Hilfe der Fotografie empirisch und wissenschaftlich zu beweisen. Die Fotografie galt als das ideale Instrument spiritualistischer Aussagen und einer empirischen Metaphysik. Bevor sich die Fotografie in einer zweiten Phase der Fotografie des Übersinnlichen mit Baraduc, Darget oder de Rochas den Strahlenaktivitäten der Seele, der Gedanken oder des Körpers zuwandte, entstanden zwischen 1861 und 1877 tausende geister- und mediumistische Fotografien, zumeist Porträts, auf denen Lichtphänomene oder menschliche Gestalten erschienen. Die wohl bekanntesten Geisterfotografien stammen von dem angesehenen britischen Wissenschaftler William Crookes, der 1874 zahlreiche Sitzungen mit dem Medium Florence Cook fotografierte. Erst nachdem sich die Röntgenfotografie in der Medizin durchgesetzt hatte, verschwanden auch die Geisterfotografien allmählich. Es finden sich allerdings noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche Spielarten, die die Tradition der Geisterfotografien zum Teil bestätigend, zum Teil ironisch aufnehmen.

Das Dispositiv, das diese eigentümliche Verknüpfung von rationaler Wissenschaft und Spiritualismus ermöglicht, ist die Überzeugung, dass sich auf der fotografischen Platte die Natur unmittelbar einschreibt und die Fotografie daher in jedem Fall die Spur von etwas ist. Dass auf einer Fotografie etwas aufgezeichnet worden sei, galt insbesondere im 19. Jahrhundert als unumstößlich. Streit entbrannte allenfalls darüber, wie das fotografisch Abgebildete zu deklarieren sei. Die Anziehungskraft der Fotografie für den Spiritismus verdankt sich mit anderen Worten dem magischen Vermögen, das der Fotografie zugesprochen wurde: dass sie zwischen Gegenstand und Bild eine mediumistische und zugleich naturwissenschaftlich erklärbare Beziehung herstellen kann.

Gespenster geistern aber nicht nur in den Geisterfotografien eines William Crookes, William Mumler oder William Pierce herum. Das Gespenst ist auch eine Denkfigur in vielen Texten zur Theorie der Fotografie. Siegfried Kracauer und Roland Barthes sind nur zwei Autoren, in deren Texte der Begriff des Gespenstes auf je eigene Weise eine wichtige Rolle spielt.

Barthes / Flusser

Das Fenster: Für Roland Barthes ist es Sinnbild für die vollständige Transparenz der Fotografie im Hinblick auf ihren Referenten. Für Vilém Flusser Ausdruck des Irrglaubens, technische Bilder seien objektiv.

Von Nicéphore Nièpce stammt die erste, heute noch erhaltene Fotografie. Die Heliographie, die er 1827 auf seinem Landgut Le Gras in Saint-Loup-de-Varennes aufnahm, zeigt einen Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers.

In der Kunst- und Fototheorie wurde Point de vue Gras und mit ihr die Fotografie deshalb verschiedentlich im Kontext der Malerei gedeutet. Nièpce Heliographie belege, dass die Fotografie in ihrer Geburtsstunde in der Tradition und damit auch in Konkurrenz mit der von der Fluchtpunktperspektive bestimmten Malerei stand, die deren Begründer Alberti zu Beginn des 15. Jahrhunderts als „offenes Fenster“ beschrieben hatte.

Dass die Aufnahme von einem Innenraum heraus ins Freie gemacht wurde, ist indes auch dem verwendeten technisch-apparativen Verfahren geschuldet. Schon allein aus praktischen Gründen war der Blick aus dem Innenraum heraus das erste fotografische Sujet. Eine ausreichende Belichtung wäre ohne die lang anhaltende Lichtquelle eines Fensters nicht möglich gewesen. Die Aufnahme, die Nièpce in einer Camera Obscura machte, benötigte wegen der Lichtunempfindlichkeit der verwendeten Trägerschicht, einer Platte mit ölbehandeltem Asphalt, mehr als acht Stunden Belichtungszeit. Point de vue Gras reflektiert also auch die technische Apparatur und die von ihr gestellten Anforderungen.

Roland Barthes

Mehr als 150 Jahre später greift Roland Barthes die Metapher des Fensters wieder auf, wenn er in der Hellen Kammer das Wesen der Fotografie im „Eigensinn des Referenten“ sieht, „immer da zu sein“. „Die PHOTOGRAPHIE“, schreibt Barthes, „gehört zu jener Klasse von geschichteten Objekten, von denen man auch nicht zwei Blätter abtrennen kann, ohne sie zu zerstören: die Fensterscheibe und die Landschaft“. Ein Dualismus, der laut Barthes zwar fassbar, aber nicht wahrnehmbar ist.

Diese Transparenz, deren Sinnbild das Fenster ist, ist bei Barthes verbunden mit der Ausklammerung des physikalischen Anteils an der Fotografie. Zwar stellt Barthes fest, dass die Fotografie in „technischer Hinsicht“ „am Kreuzweg zweier vollkommen verschiedener Prozesse“ steht, nämlich der Chemie und der Physik. Wie der operator, der Fotograf, dem „die Entstehung des Bildes mittels einer optischen Vorrichtung“, zugeordnet wird, findet aber auch der physikalische Teil der Apparatur in der Hellen Kammer so gut wie keine Berücksichtigung.

Mit dem Hinweis „ich bin kein Fotograf“ und der abschätzigen Bemerkung, „daß das Gefühl des operator in irgendeiner Beziehung steht zu dem ‚kleinen Loch‘ (stenopäischer Apparat)“ wird der Fotograf von den weiteren Überlegungen weitgehend ausgeklammert. Wenn von ihm im weiteren Verlauf überhaupt noch die Rede ist, dann nur geringschätzig: seine „wesentliche Handlung“ bestehe darin, „etwas oder jemanden zu überraschen (durch das kleine Loch im Gehäuse)“. Eine Überraschung, die Barthes keinen Wert beimisst.

Camera LucidaDer Fotoapparat wiederum, in dessen dunklem Inneren die Belichtung erfolgt, wird ersetzt durch ein quasi natürliches Relais, in dem der Prozess der Abbildung offen sichtbar ist und das am Ende der Bemerkungen zur Photographie diesen noch ihren Namen gibt: Helle Kammer. „Zu Unrecht“, resümiert Barthes, „bringt man die Fotografie, aufgrund ihres technischen Ursprungs, mit der Vorstellung eines dunklen Durchgangs in Zusammenhang (camera obscura). Man müßte camera lucida sagen (so wurde ein Apparat genannt, ein Vorläufer der Kamera, mit dessen Hilfe man einen Gengenstand durch ein Prisma hindurch zeichnen konnte, das eine Auge auf die Vorlage, das andere auf das Papier gerichtet)“.

Der Grund für diese Ausklammerung liegt Barthes zufolge letztlich darin, dass es bei der Bestimmung des Wesens der Fotografie nicht um die Frage gehe, ob die Fotografie ein Analogon der Welt ist und ob „die photographische Optik der (ganz und gar historischen Perspektive Albertis) untergeordnet ist und die Belichtung der Filmschicht aus einem dreidimensionalen Gegenstand ein zweidimensionales Bild macht“. Diese namentlich von Soziologen und Semiologen geführte Debatte sei „fruchtlos“. Und zwar nicht, weil sich „das analogische Wesen“ der Fotografie nicht von der Hand weisen lasse, sondern weil „das Noema der PHTOTOGRAPHIE mitnichten in der Analogie zu suchen“ ist, sondern in der „Zeugenschaft der PHOTOGRAPHIE“, in ihrem „Es-ist-so-gewesen“.

Vilém Flusser

Barthes Name fällt in Flussers für eine philosophie der fotografie nicht. Die Helle Kammer ist jedoch unüberhörbar Flussers Bezugspunkt: „Die seitens der technischen Bilder scheinbar bedeutete Welt scheint ihre Ursache zu sein und sie selbst ein letztes Glied in einer Kausalkette, die sie ohne Unterbrechung mit ihrer Bedeutung verbindet: Die Welt reflektiert Sonnen- und andere Strahlen, welche mittels optischer, chemischer und mechanischer Vorrichtungen auf empfindlichen Oberflächen festgehalten werden und als Resultat technische Bilder hervorbringen, das heißt sie scheinen auf der gleichen Wirklichkeitsebene zu liegen wie ihre Bedeutung.“

Demgegenüber stellt Flusser apodiktisch fest: „Das technische Bild ist ein von Apparaten erzeugtes Bild.“ Dass technische Bilder einen unsymbolischen, objektiven Charakter haben, sei „eine Täuschung“, die sich insbesondere in der irrtümlichen Neigung zeigt, Bilder „nicht als Bilder, sondern als Fenster“ zu betrachten.

Flusser spricht sich damit nicht nur gegen eine ontologische Auffassung der Fotografie aus, wie sie von Barthes vertreten wird. Sein „Versuch“ bezieht im Begriff des Apparates ausdrücklich auch den physikalischen Teil mit ein. Was gebraucht werde, ist eine Kritik der technischen Bilder, die alle apparativen Aspekte berücksichtigt, die bei ihrer Erzeugung eine Rolle spielen. In Anlehnung an Walter Benjamins Verdikt in der Kleinen Geschichte der Photographie, „dass nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige der Analphabet der Zukunft sein wird“, formuliert Flusser: „Die Codierung der technischen Bilder geht aber nun einmal im Inneren dieser Black Box ‚Apparat/Operator‘ vor sich, und folglich muß jede Kritik der technischen Bilder darauf gerichtet sein, ihr Inneres zu erhellen. Solange wir über eine derartige Kritik nicht verfügen, bleiben wir, was die technischen Bilder betrifft, Analphabeten.“

Buchstäbliches

Helmuth Lethen geht in seiner Abhandlung Der Schatten des Fotografen, für die er den diesjährigen Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, ausführlich auch auf Roland Barthes‘ Die helle Kammer ein. Lethen thematisiert dabei auch die Besonderheit der Fototheorie Roland Barthes‘: nämlich das fotografische Bild zuweilen als kulturell konstruierten Code und zuweilen als indexikalische Spur zu diskutieren.

Indem Lethen die Helle Kammer als „Rückfall hinter die Standards der Zeichentheorie“ interpretiert, folgt er einer Lesart, die diese Besonderheit durch einen methodischen Wechsel in den Arbeiten Roland Barthes‘ von der Semiologie zur Phänomenologie der Fotografie erklärt.

Dass Roland Barthes diesen vorgeblichen Rückfall „nicht zufällig“ provoziert hat, darin mag man Helmut Lethen noch folgen. Lethen verweist zu Recht auf den biografischen Kontext, in dem die Helle Kammer entstand: den Tod der Mutter und den Kummer, den Barthes, wie er im Tagebuch der Trauer schreibt, „in ein Schreiben einzubauen“ versuchte, in „das Buch Photographie – Mam.„.

Dass Lethen Barthes‘ Ausführungen in der Hellen Kammer als „Rückfall“ bezeichnet, wird Barthes indes nicht gerecht. Barthes selbst hat zwischen den beiden Perspektiven Semiologie und Phänomenologie keinen Bruch gesehen, sondern im Gegenteil ihre Vereinbarkeit hervorgehoben. In der Hellen Kammer spricht er in Anspielung auf seinen Aufsatz Die Fotografie als Botschaft aus dem Jahr 1961 von den „Realisten, zu denen ich gehöre und bereits gehörte, als ich die Behauptung aufstellte, die PHOTOGRAPHIE sei ein Bild ohne Code – obschon Codes selbstverständlich ihre Lektüre steuern“.

Dass die konnotierte Botschaft der Fotografie sich ausgehend von einer „Botschaft ohne Code“ entfaltet und das denotierte Bild mithin die Bedingung der Möglichkeit von Sinn darstellt, klingt aber schon in einer kurzen Abhandlung in den Mythen des Alltags (1957) an. In Schockphotos identifiziert Barthes neben einem „rein sprachlichen Zustand“ eine „Buchstäblichkeit“ des Faktums, durch die dieses „in der Evidenz seiner abgestumpften Natur eklatant wird“. Wie in Die Fotografie als Botschaft, bildet auch in „Schockfotos“ dieses Buchstäblichkeit den Kristallisationskern von Sinn, indem sie „den Beschauer zu einer heftigen Frage zwingt, ihn auf den Weg zu einem Urteil führt, das er selbst erarbeitet“.

Kleine Geschichte der Photographie

Die Kleine Geschichte der Photographie von Walter Benjamin aus dem Jahr 1931 ist ein melancholischer Blick zurück auf eine lange vergangene Blütezeit der Fotografie, eine Analyse ihres Verfalls und ein fragender Ausblick auf ihre mögliche Zukunft. Was als kleine Geschichte daherkommt, ist aber auch eine Theorie der Fotografie, die sich von einem Begriff von Kunst absetzt, der, so Benjamin, hinsichtlich der Fotografie in hundert Jahren nicht zum geringsten Ergebnis gekommen sei.

Versagen der antitechnisch eingestellten Kunstkritik

Die Ursache für dieses Versagen liegt laut Benjamin darin, dass die bisherige Fototheorie einen „antitechnischen Begriff von Kunst auf die Fotografie“ angewendet und versucht habe, die Fotografie „vor eben jenem Richterstuhl zu beglaubigen, den er umwarf.“ Leitgedanke von Benjamin ist demgegenüber, dass die Geschichte der Fotografie nur verstanden werden kann, wenn ihr technischer Charakter berücksichtigt wird. Gleichwohl bleibt aber auch bei Benjamin die Malerei der Bezugspunkt. Wenn die Fotografie auch nicht vor der Malerei beglaubigt werden kann, so beglaubigt er sie aber doch im Unterschied zur Malerei. Die Überlegungen Benjamins formulieren dabei zentrale Begriffe seiner Kunsttheorie.

Zentrale Begriffe einer neuen Kunsttheorie: Indexikalität und Aura 

Da ist zunächst die Indexikalität der Fotografie. Während in der Malerei „nur als Zeugnis für die Kunst dessen dauern, der sie gemalt hat“, bezeugt die Fotografie über die Kunst des Fotografen hinaus auch den dargestellten Menschen. In ihr, so Benjamin, bleibe „etwas, was nicht zum Schweigen zu bringen ist, ungebärdig nach dem Namen derer verlangend, die da gelebt hat, die auch hier noch wirklich ist.“

Fotografien besitzen laut Benjamin damit etwas, was Bilder nicht mehr besitzen können: einen „magischen Wert“. Dieser magische Wert zeigt sich dabei in mehrfacher Hinsicht. Zum einen in der Absichtslosigkeit, mit der er in Erscheinung tritt. Das Magische stellt sich, so Benjamin, „aller Kunstfertigkeit des Photographen und aller Planmäßigkeit in der Haltung der Modelle zum Trotz“ ein. Benjamin, der in diesem Zusammenhang in Analogie zum „Triebhaft-Unbewussten“ der Psychoanalyse auch vom „Optisch-Unbewussten“ spricht, greift hier eine negative Bestimmung der Fotografie auf, die schon Henry Fox Talbot verwendet, wenn er das Zustandekommen von Bildern in den Bereich des rational nicht erklärbaren verlegt, und die noch bei Roland Barthes, Susan Sonntag oder Jean Baudrillard zu finden ist. Indem die Fotografie jenseits bewusster Wahrnehmung Wirklichkeit abbildet, wächst ihr laut Benjamin auch eine spezifische Natur zu: „Es ist ja eine andere Natur, welche zur Kamera als welche zum Auge spricht; anders vor allem so, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten Raums ein unbewußt durchwirkter tritt.“

Der Absichtslosigkeit der Hervorbringung, durch die letztlich die Autorschaft des Bildes auf Seiten der Objekte verankert wird, entspricht auf Seiten des Betrachters die überwältigende Wirkung, die von Fotografien ausgeht. Bilder zwingen den Betrachter „unwiderstehlich“, in ihnen „das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, zu suchen“ (356). Diese Überwältigung ist umso rätselhafter ist, als sie dem Betrachter eine eigentümliche Zeitstruktur aufzwingt. Fotografien zwängen den Betrachter, „die unscheinbare Stelle zu finden, in welcher, im Sosein jener längstvergangenen Minute das Künftige noch heut und so beredt nistet, daß wir, rückblickend es entdecken können.“

Mit dem „Hier und Jetzt“ ist schließlich der dritte Aspekt des Magischen bezeichnet: das Vermögen der Fotografie, Vergangenes in das Hier und Jetzt zu bewahren, also ihr indexikalisches Vermögen.

Technisches Bedingtsein des magischen Wertes und der Aura

Der magische Wert und die Aura verdanken sich laut Benjamin dem technischen Charakter der Fotografie. Wie der Mensch von jener „anderen Natur“, vom „Optisch-Unbewußten“ erst durch die Kamera erfährt, so verdankt sich auch die Dauer der fotografischen Technik, genauer ihrem frühen Mangel. Die langen Belichtungszeiten, die in der Frühzeit der Fotografie erforderlich waren, sind es nämlich, die die Modelle veranlassen, „nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein zu leben; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein.“

Verfall und Verlust der Aura

Benjamins Kleine Geschichte der Fotografie lässt sich im Satz vom „technischen Bedingtsein der auratischen Erscheinung“ zusammenfassen. Der Fortschritt der Technik und das Absichtsvolle der Fotografen sind es denn auch, die den Verfall der Fotografie einläuten. Ihr Verfall ist in dem Augenblick besiegelt, indem eine „fortgeschrittene Optik“ und „lichtstärkere Objekte“ das magische Kontinuum von hellstem Licht zu dunkelstem Schatten überwinden und die Fotografen versuchen, die dadurch verlorengegangene „Aura durch alle Künste der Retusche vorzutäuschen.“ Die auratische Erscheinung, die vormals den Fotografien eigentümlich war, weicht einer vorgetäuschten Aura, einem „Schöpferischen“, das Benjamin als „Überantwortung an die Mode“ versteht. Und wie sich die Absichtslosigkeit der Hervorbringung und jener andere Raum entsprachen, so entsprechen sich nun das Schöpferische und eine Gesellschaftsordnung, „deren einzelne Momente einander in toter Gegensätzlichkeit gegenüberstehen.“

Surrealismus und Konstruktion als Gegenpart eines falschen „Schöpferischen“

Benjamins Kleine Geschichte der Fotografie entwirft demgegenüber einen hoffnungsvollen Ausblick. Mit dem Surrealismus und der surrealistischen Fotografie erwachse nämlich dem „Schöpferischen“ ein Gegenpart. Als „Vorläufer“ des Surrealismus gilt Benjamin dabei Atget. Dieser habe in der Porträtfotografie jene „Befreiung des Objekts von der Aura“ eingeleitet, die der Surrealismus in der Konstruktion weiterführt. Fotografien sind mithin bei Benjamin nicht nur Beweisstücke im historischen Prozess. Sie besitzen auch eine Bedeutung für eine neue gesellschaftliche Ordnung. Mit Brecht fordert er: „Es ist also tatsächlich, ‚etwas aufzubauen‘, etwas ‚Künstliches‘, ‚Gestelltes‘.“

Literarisierung und Gewissheit über gesellschaftliche Zusammenhänge

In diesem Zusammenhang erhält dann auch die Beschriftung eine positiven Bedeutung. War die frühe Porträtfotografie dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch „in den Blickraum der Photographie unbescholten oder besser gesagt unbeschriftet“ trat, so habe nun „die Beschriftung einzusetzen, welche die Photographie der Literarisierung aller Lebensverhältnisse einbegreift, und ohne die alle photographische Konstruktion im Ungefähren bleiben muß.“ Die Beschriftung ist notwendig, da sie die Gewissheit über gesellschaftliche Zusammenhänge herstellt und der Fotografie so erst ihre mittelbare gesellschaftsverändernde Kraft verleiht. In diesem Sinn greift Benjamin abschließend die Feststellung László Moholy-Nagys auf, dass nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige der Analphabet der Zukunft sein wird, und formuliert die Frage: „Aber muß nicht weniger als ein Analphabet ein Photograph gelten, der seine eigenen Bilder nicht lesen kann? Wird die Beschriftung nicht zum wesentlichsten Bestandteil der Aufnahme werden?“


Walter Benjamin, Kleine Geschichte der Photographie

In: Aura und Reflexion. Schriften zur Kunsttheorie und Ästhetik

Literatur / Fotografie

Das Thema Fotografie in der Literatur: Häufig kommentiert die Literatur die Fotografie oder sie liest Theorien der Fotografie als Verfahren des Erinnerns oder des Vergessens.

Etwa Adolfo Bioy Casares.
In dessen Roman Abenteuer eines Fotografen in La Plata kommt der Fotograf Nicolasito Almanza mit dem Auftrag in die Stadt, ihre „Sehenswürdigkeiten“ für einen Bildband zu fotografieren. Das naive Abbildungskonzept, das in diesem Auftrag bezeichnet ist, wird allerdings von Beginn an kontrastiert durch Erlebnisse und Erfahrungen, in denen die Stadt sich immer wieder als „Blendwerk“ zeigt. Sei es durch Träume oder Halluzinationen: immer wieder löst sich die Stadt auf in Fragmente, die sich nicht mehr zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen. Die Konzentration auf eine Wahrnehmung, die sich ausschließlich am Bild festmacht, erweist sich im Verlauf des Romans zusehends als ungenügend.
Ironisch, wenn auch unfreiwillig kommentiert werden Realismus und Fixierung auf eine Wahrnehmung über das fotografische Bild dabei in einem Gespräch zwischen der Hauptfigur und einem Sargverkäufer:
„Ich denke gerade“, sagte der Fotograf ein wenig erregt, „ein Fotograf ist ein Mensch, der die Dinge anschaut, um sie zu fotografieren. Oder vielleicht ein Mensch, der, indem er die Dinge anschaut, sieht, was ein gutes Bild abgibt.“
„Das nenne ich das Profiauge“, rief Lo Pietro, der Sargverkäufer. „Das erwirbt man sich. Ich sehe einen Menschen zum erstenmal, und schon veranschlage ich die Größe seines Sarges.“

Oder Thomas Bernhards Auslöschung. Ein Zerfall.
Hier nimmt der Gedankenmahlstrom des Erzählers Murau seinen Anfang und findet sein Ende in den Fotografien der toten Eltern und des toten Bruders. Insbesondere im ersten Teil des Romans vollzieht sich das Erinnern über die Betrachtung der Fotografien.
Im Bemühen, die in Schuld verstrickte Familie zum Verschwinden zu bringen, versucht der Erzähler den Bildern seiner toten Angehörigen jeglichen Wahrheits- und Realitätsgehalt abzusprechen. Fotografien werden durchweg als Fälschung der tatsächlichen Sachverhalte beschrieben: „Die Fotografie“, so Murau, „zeigt nur den grotesken und den komischen Augenblick, dachte ich, sie zeigt nicht den Menschen wie er alles in allem zeitlebens gewesen ist, die Fotografie ist eine heimtückische perverse Fälschung, jede Fotografie, gleich von wem sie fotografiert ist, gleich, wen sie darstellt, sie ist eine absolute Verletzung der Menschenwürde, eine ungeheuerliche Naturverfälschung, eine gemeine Unmenschlichkeit.“
Legitimiert wird diese Auffassung von der Fotografie als Verfahren der Entstellung augenscheinlich im Rückgriff auf Siegfried Kracauers Aufsatz Die Photographie. Wie Kracauer bezeichnet auch der Erzähler in Bernhards Auslöschung. Ein Zerfall die auf den Fotografien dargestellten Eltern als „Puppen“, die „komisch und furchtbar zugleich“ (Kracauer) sind. Die Angehörigen auf den Fotografien lösen sich in „modisch-altmodische Einzelheiten“ (Kracauer) auf: der Vater in seine „dreißig Jahre alten Pumphose“, die Mutter in ihren „Hut“, der „auf groteske Weise nur noch ganz leicht an ihrem Kopf festgehalten“ wird. Die Fotografien stellen damit wie bei Kracauer nur mehr fragmentarische, „räumliche Konfigurationen eines Augenblicks“ (Kracauer) dar.
Während Kracauer im Gedächtnis und dessen sinnstiftenden Vermögen aber noch einen Gegenpol zur Fotografie sieht, delegitimiert Thomas Bernhard schlechterdings Erinnerung, in welchem Verfahren auch immer sie praktiziert wird. In Auslöschung. Ein Zerfall erscheint, in Absetzung auch von romantischen Konzepten, Erinnern als mechanischer Vorgang, der letztendlich nur kontingente und verfälschte Inhalte liefert.

Bilder schießen

Der Fotograf Fred Stein hat sich über die Fotografie und das Fotografieren auf widersprüchliche Art und Weise geäußert. Einerseits sah er den Sinn der Fotografie darin, „einen Ersatz für den lebenden Menschen zu schaffen“. Beim Fotografieren aber sei er vorgegangen „wie ein Jäger, der sein Ziel anvisiert“.

Wendungen wie „Schnappschuss“ oder „ein Bild schießen“ finden sich häufig, wenn vom Fotografieren die Rede ist. Ihr Ursprung in der Jägersprache ist unverkennbar. So bezeichnet „Schnappschuss“ im eigentlichen Wortsinn das Schießen aus der Hüfte ohne sorgfältiges Zielen.

In solchen Wendungen deutet sich immer auch ein Misstrauen gegenüber der Fotografie und ihrem vielzitierten Vermögen an, ihrem Gegenstand lebendige Dauer zu verleihen. Siegfried Kracauer hat in Die Photographie dieses Misstrauen in eindrücklichen Bildern beschrieben und die Verschränkung von Abbildung und Vernichtung, Dauer und Verschwinden thematisiert.

Bei Kracauer driften die Zeitlichkeit im Bild und der Zeitpunkt der Betrachtung auseinander. Je älter ein Bild sei, desto fremder werde für den Betrachter das Dargestellte. Eine Fotografie bestätige allenfalls, dass das Abgebildete zum Zeitpunkt der Aufnahme existiert habe. Da die Fotografie im Gegensatz zum selektiv arbeitenden, Sinn erzeugenden Gedächtnis aber lediglich „die räumliche Konfiguration des Augenblicks“ abbilde, überlebe das Abgebildete im Bild eben gerade nicht. Die Fotografie vergegenwärtige so letztlich nur „die Totenwelt in ihrer Unabhängigkeit vom Menschen.“