Sinnmaschine

„… und ich bin nach Reading zu einem mir wie auch ihm befreundeten Lehrer gefahren, der sich mit der Konstruktion einer Maschine beschäftigte, von welcher ich heute noch nicht weiß, um was für eine Maschine es sich handelt, obwohl ich jahrelang schon von ihm, dem Konstrukteur, in die Konstruktion dieser Maschine eingeweiht bin, auch Roithamer wusste nicht, um was für eine Maschine es sich bei der Maschine von Reading, wie wir sie nannten, handelte …“
Thomas Bernhard, Korrektur

 

Kein Zweifel. Rhein II bedeutet den Rhein. Was aber ist sein Sinn? Wer am Rhein auf der Höhe von Düsseldorf-Oberkassel steht, sieht auf der gegenüberliegenden Uferseite Baumreihen und das Stromkraftwerk Lausward. Andreas Gursky hat dieses Flusspanorama in Rhein II bereinigt. Das Bild zeigt wenige horizontale Streifen, die durch den Wechsel von Ufer, Fluss, Himmel und einem schmalen Fahrweg im Vordergrund entstehen.

Für gewöhnlich modellieren Rheinbilder kollektive Vorstellungen. So spiegelt sich in den Fotoreportagen der 1950er Jahre vom Rhein die prosperierende wirtschaftliche Entwicklung dieser Jahre. Beispielhaft hierfür sind Robert Häussers Bilder des Rhein-Hafens in Mannheimm von 1957. Gurskys Rhein II hingegen ist eine strenge, geradlinige Abstraktion von allem Dokumentarischen, Klischeehaften und Mythischen. Als solche kann sie aber zugleich wieder als Projektionsfläche dienen. Wer vor dem zwei Meter hohen und gut dreieinhalb Meter breiten Bild steht, vergleicht das, was er da sieht, unweigerlich mit seinen Vorstellungen und Gedankenbildern vom Rhein und füllt es imaginär mit ihnen. Er springt ein, wo das Bild auf das Szenische und Anekdotische verzichtet.

 

Bildquelle
Tate Gallery

Beinahe dokumentarisch

Das Museum konserviert Kunst. Was aber konserviert die Fotografie?
Die großformatigen Fotografien von Andreas Gursky und Jeff Wall, die zurzeit in der Kestner-Gesellschaft in Hannover zu sehen sind, beantworten diese Frage auf je eigene Weise.

Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost (2008)Andreas Gursky geht bei seinen Fotografien von konkreten Erfahrungen aus. Seine monumentalen Bilder aber sind keine Abbilder der Wirklichkeit. Indem er seine Fotografien digital aus vielen Einzelbildern konstruiert, erschafft er vielmehr eine künstliche Wirklichkeit, die über die Stellung des Menschen in der Welt Auskunft gibt. In Bildern wie wie Nha Trang (2004), F1 Boxenstopp I (2007) oder V&R (2011) verschwindet der Mensch in den Ordnungen, die ihm die unterschiedlichen Arbeitswelten vorgeben. Besonders beeindruckend ist dies in Hamm, Bergwerk Ost (2008) zu beobachten, wo über den Köpfen der Bergmänner, die ganz klein nur noch am unteren Bildrand auszumachen sind, die Kleiderkörbe in eine nicht enden wollende Höhe reichen. Wenn in Gurkys Bildern Einzelfiguren zu sehen sind, dann sind es ironischerweise keine realen Menschen, sondern, wie in SH I oder SH IV, Marvel-Comichelden wie Spiderman oder Iron Man, die in künstliche, zuweilen kitschig-unwirkliche Landschaftskulissen versetzt sind.

Jeff Wall, Two eat from bag (2008)Jeff Walls Bilder kommen als Schnappschüsse des Alltäglichen daher. Tatsächlich aber sind sie minutiös komponiert und bis ins Detail inszeniert. Kraft dieser Inszenierung kommt den vermeintlich unspektakulären Szenen von Passanten auf der Straße, von einem Paar, das zusammen Pommes Frites aus einer Tüte isst, oder von zwei Männern, die einen Motorblock tragen, eine gleichsam übergeordnete Bedeutsamkeit zu. Die Anziehungskraft von Walls Fotografien wird dabei zudem dadurch verstärkt, dass er seine Figuren so darstellt, als würden sie sich gerade nicht einem Betrachter darbieten und wären für ihn unerreichbar.

andreas gursky | neo rauch | jeff wall: Noch bis zum 26. Oktober 2014 zu sehen in der Kerstnergesellschaft in Hannover.