Landschaft im Dekolleté

Landschaft im Dekolleté. Fenster als Element und Metapher – Titel und Untertitel der aktuellen Ausstellung der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen in Rüsselsheim sind recht eigenwillig. Landschaften etwa bekommt man so gut wie keine zu sehen.  Die Ausstellung selbst aber ist sehenswert. Gezeigt werden mehr als 120 Fotografien, Videos und Objekte von verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, alle entstanden zwischen 1984 und 2013. Dass unter den ausgestellten “Schlüsselwerken” die Fenster-Fotografien etwa von Sabine Hornig oder Günther Förg nicht zu sehen sind, ist allerdings schade.

HimmelDas Fenster erscheint in den ausgestellten Fotografien, die größtenteils noch in analoger Technik aufgenommen wurden, als Schnittstelle zwischen Sichtbaren und Unsichtbaren, Gegenwartmund Vergangenheit, Bewussten und Unbewusstem, Wahrnehmung und Vorstellung. In den ausgestellten Fotografien erscheint das Fenster mal flach, opak und undurchdringlich, zuweilen setzt es aber auch Überlagerungen und Verschiebungen in Gang: Shizuka Yokomizo Porträtaufnahmen von Menschen vor ihren Fenstern, die die Kluft zwischen Fotograf und Abgebildeten versinnbildlichen ‐ Loredana Nemes’ Fotografien der Frontscheiben von türkischen und arabischen Männercafés, zu denen Frauen keinen Zutritt haben, oder ihre Porträtaufnahmen von nur schemenhaft erkennbaren Männern hinter milchigen Glasscheiben, Rollos und Gardinen ‐ Lucinda Devlins Bild einer Todeszelle, die zwar ein Fenster besitzt, durch das aber ein Blick nach draußen nicht möglich ist ‐ Thomas Florschuetz, in dessen Fensterbildern, die nach Innen geöffnet sind, Spiegelungen und Durchblicke in einer Weise gestaffelt sind, die Florschuetz zufolge „weder einen Blick nach innen, noch einen nach außen freigeben” ‐ Beatrice Mindas nächtliche und unscharfe Erinnerungsbilder an ihre fremdgewordene rumänische Heimat, die beleuchtete Fenster von Häusern zeigen und die auf den Zusammenhang zwischen Sehen und Erinnern verweisen – Marja Piriläs Porträts, in denen Außenwelt und Innenraum sich überlagern und die, nicht zuletzt durch die Verwendung der Camera Obscura-Technik, das Wunderbare wiederbeleben, das der Fotografie in ihren Anfangszeiten zugeschrieben wurde ‐ Sibylle Hoesslers Polaroidserie 18 Tage, die sie vom Krankenbett aus durch das Fenster gemacht hat und die in ihrer mosaikartigen Anordnung einen gebrochenen Ausblick auf einen monochromen, sich kaum verändernden und augenscheinlich unerreichbaren Himmel zeigt.

Von Sibylle Hoessler insbesondere ließe sich ein Bogen spannen von der Fotografie zur Malerei, etwa zu dem Symbolisten Ferdinand Hodler, der in seinen letzten Lebensmonaten von seinem Zimmer aus den Genfersee und den Mont Blanc malte. Einen Ausstellungskatalog, der solche Querverbindungen und Referenzen thematisieren könnte, gibt es aber leider nicht.