Albrecht Kunkel

Aus den spärlichen biografischen Quellen zu Albrecht Kunkel, es sind nur eine Hand voll, ragen erratisch wenige Sätze hervor:

Albrecht Kunkel galt fortan als Talent.
Eine Erbschaft ermöglichte es ihm, sich neue Lehrmeister zu suchen.
Der große Durchbruch blieb aus.
Von der Ausstellung bei Lempertz versprach er sich viel. Der Verkauf war enttäuschend. Die Erbschaft verbraucht.
Kunkel starb im Alter von 41 Jahren.

Talent, Erbschaft, Enttäuschung, Tod: das sind die Stichworte, die der Berliner Tagesspiegel in einem Nachruf auf Albrecht Kunkel, der 2009 starb, benennt.

Nach einer Ausbildung zum Fotografen beim Lette-Verein in Berlin Ende der 1980er Jahre studierte Albrecht Kunkel ab Mitte der 1990er Jahre zunächst bei Thomas Struth und anschließend bei Bernd Becher, bevor er 2001 sein Studium bei Katharina Sieverding als Meisterschüler abschloss. Der Einfluss von Struth, Becher und Sieverding: er ist in der Ausstellung „Albrecht Kunkel: QUEST“, in der das ZKM Karlsruhe erstmals einen Überblick über das Werk des deutschen Künstlers und Fotografen zeigt, augenscheinlich.

Aus einem Stipendiatsaufenthalt 2001 an der Chinati Foundation, einem durch den US-amerikanischen Minimalisten Donald Judd in Marfa/Texas gegründeten Kunst- und Künstlermuseum, ging in der Folge nicht nur – zum Teil unvollendete – Arbeiten hervor, die Albrecht Kunkel an Wohn- und Arbeitsorte von Künstlern der Konzeptkunst oder Landart wie Dan Graham und Robert Smithson führte. Es entstanden auch Fotografien von Orten und Ereignissen wie der Börse an der Wall Street, den Filmfestspielen in Cannes oder großen Fußballstadien und dem Autorennen in Monte Carlo, die symbolhaft für die massenmediale Gegenwartskultur stehen.

Albrecht Kunkel, Marfa (2002), aus der Serie Aerial Views

Und nicht zuletzt begann Albrecht Kunkel auch damit, fremdes Fotomaterial in seine Arbeiten einzubeziehen. So erstand er etwa vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium topografische Luftbilder, von denen er Schwarz-Weißabzüge erstellte. Aus diesen ging 2002–2006 die Serie Aerial Views hervor. Albrecht Kunkel spürt in dieser Serie zum einen kulturellen Praktiken nach, die Landschaften und Räumen eingeschrieben sind. Die Luftbilder der texanischen Kleinstadt Marfa zeichnen in diesem Sinn gleich mehrere Übergänge nach. Da ist zunächst der Übergang von einem szientifischen in ein künstlerisches Register, mit dem auch eine Verschiebung des Zwecks verbunden ist. Während das Bildmaterial nämlich ursprünglich Forschungseinrichtungen zu Analysezwecken diente, erfüllt es nach seiner Transmission in das künstlerische Register einen Symolisierungszweck. Mit diesem Registerübergang verschränkt sind zudem der Übergang von Landschafts- in urbanen Raum, den die Luftbilder als Erschließungsbewegung der Stadt in die Landschaft buchstäblich abbilden, sowie der Übergang in der Nutzung Marfas als Militäranlage hin zur Nutzung als Kunstzentrum.

Was die schachbrettartige Hängung der Luftbildserie von Marfa im ZKM indes auch zeigt, ist das Fehlen einer Synthese. Auch wenn jedes der topographischen Einzelbilder einen etwas versetzten Ausschnitt wiedergibt: ein geschlossenes Gesamtbild will sich nicht so recht von selbst ergeben. Die aus drei mal vier Einzelaufnahmen bestehende Hängung offenbart letzendlich das Fragmentarische eines nur aus der Vogelperspektive auf die Welt schauenden Blicks.

 

Albrecht Kunkel: QUEST
Fotografien 1989-2009

ZKM Karlsruhe
11.12.2016 – 23.4.2017

 

Links
Albrecht Kunkel: QUEST. Fotografien 1989-2009 (ZKM)
Albrecht Kunkel: Für sein Geheimnis fand er keine Worte. Dafür aber die Bilder. (Der Tagesspiegel)

Bodenlos

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste gleicht weniger einem Parcours, einer festgelegten Strecke, denn einem Netzwerk, das mehrere Zugänge hat und das man auf unterschiedlichen Wegen begehen kann. Hier wird nicht in herkömmlichen Sinn erzählt. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Die räumliche Anordnung wie auch die Chronologie der Stationen und Exponate spielen keine Rolle. Und tatsächlich kann man die Ausstellung auch über mehrere, gleichberechtigte Zugänge betreten.

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste folgt in Anlage und Ausführung darin ohne Zweifel Flussers Idee einer telematischen Gesellschaft, in der Informationen ohne Einschränkung allen zur Verfügung stehen und prozessiert werden können und in der das Individuum aus der Vielzahl von Kommunikationsfäden entsteht, die es durchlaufen. „Wir müssen davon ausgehen“, schrieb Flusser, „daß wir nicht etwas sind, sondern ein Wie-sich-in-Bindungen-verknoten.“ Der Mensch ist in der telematischen Gesellschaft Künstler und Spieler, nicht Subjekt, sondern Projekt, das sich im Dialog mit anderen und anderem entwirft.

Augenscheinlich wird dies in einem überdimensionalen Tableau, das in einem Netzwerkdiagramm Themen und Autoren zusammenfasst, die Flusser beschäftigt bzw. ihn beeinflusst haben. Das Wechselspiel von Beeinflussen und Beeinflusstwerden zeigt sich aber auch in den ausgestellten Videos, Hologrammen, Fotografien, Drucken und Programmemulationen. Deutlich wird, dass Flusser nicht nur Künstler angeregt hat, sondern selbst auch in die Künste eingegangen ist. Wenn Flusser in Fred Forests Video Les Gestes du Professeur Flusser in etwas theatralischer Manier professorale Gesten vorführt,  dann geschieht das nicht ohne ironischen Bezug auf sein Buch Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Und dass ein Computer, wie Flusser nicht müde wurde zu wiederholen, nicht nur kalkulieren, sondern komputieren, also Neues erschaffen kann, mündete in jenes fiktive, von Louis Bec Anfang der 1970er Jahre gegründete Institut Scientifique de Recherche Paranaturaliste, das sich in künstlerischer Weise der Weiterführung der biologischen Evolution und der Simulation neuer Lebewesen widmete. Vertreten ist natürlich auch die generative Fotografie, als einer deren Hauptvertreter der Fotograf Andreas Müller-Pohle gilt, der seit den frühen 1980er Jahren zudem als Verleger den Schriften Vilém Flussers im deutschsprachigen Raum Geltung verschafft.

Was in der Ausstellung erkennbar wird, ist aber nicht nur die Vielschichtigkeit eines weniger interdisziplinären, denn transdisziplinären Denkers und Denkens. Erkennbar wird zuweilen auch Wiedersprüchliches. Flussers Hang zum Monologisieren etwa, der schon zu seinen Lebzeiten nicht unwiedersprochen blieb und der im Wiederspruch steht zu der immensen Bedeutung, die Flusser dem Dialog insbesondere in seinem Entwurft einer telematischen Geselllschaft beimaß. Auch Flusser selbst ist dies nicht entgangen:  „Ich muss Sie warnen“, beginnt er einen Brief an einen Freund, der in der Ausstellung ausgestellt ist: „dieser Brief wird lang werden.“

Nicht minder wiedersprüchlich aber auch, dass er auf der einen Seite dem mündlichen Vortrag zeitlebens eine immense Bedeutung zumaß, in seinem pointierten geschichtsphilosophischen Diskurs über Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte die gesprochene Sprache aber rigoros außer Acht ließ.

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste – noch bis zum 18. Oktober 2015 im ZKM in Karlsruhe und dann vom 19. November 2015 bis 10. Januar 2016 in Berlin in der Akademie der Künste.

Bildquellen
Flusser Studies
ZKM Karlsruhe