Der Betrachter als Zuhörer

Jeff Walls „The Listener“ von 2015 deutet vieles nur an. Vielleicht spielt die Szene in einem ausgetrockneten Flussbett, vielleicht in einer Art Grube. Im Hintergrund erkennt man ein Stück Mauer, das blau angestrichen ist. Zur rechten Seite steigt ein Böschung an. Der Bildraum ist abgeschlossen und öffnet sich allenfalls nach vorne, zum Betrachter der Szene. Die Lage ist ausweglos.

Es muss heiß sein. Die Sonne steht zum Zeitpunkt des Geschehens hoch und die Personen auf dem Bild werfen nur einen kleinen Schatten. Die Erde ist ausgetrocknet.

Jeff Wall, The Listener, 2015,Sechs Männer stehen um einen Mann, der mit nacktem Oberkörper am Boden kauert. Er ist die einzige Person auf dem Bild, die ganz dargestellt ist. Und nur von ihr sehen wir auch das Gesicht, da die Figur frontal zur Bildebene abgebildet ist. Kopf und Gesicht des Mannes, der rechts von dem am Boden kauernden Mann steht, sind nur zur Hälfte und nur von hinten zu sehen, da er mit dem Rücken zum Betrachter des Bildes steht. An der linken Bildseite ein weiterer Mann, von dessen Gesicht ein Teil erkennbar ist, da er, hart angeschnitten, direkt aus dem Bild heraus den Betrachter des Geschehens anblickt. Von den übrigen Personen, die rechts und links stehen, sind keine Gesichter zu erkennen. Sie sind durch die Wahl des Bildausschnitts schlicht abgeschnitten.

Das Zentrum des Bildes bilden der am Boden kauernde Mann und der Mann, der rechts von ihm steht und sich leicht zu ihm hinunterneigt. Der linke Arm des stehenden Mannes hängt herab, während der linke Arm des Mannes am Boden wie zum Schutz nach innen gedreht ist. Zu sehen ist also eine Gewaltsituation, die sich offenbar noch in einem frühen Stadium befindet. Die körperliche Gewalt ist zum Zeitpunkt des Geschehens aber offenbar noch begrenzt. Vielleicht gab es bereits erste, verachtende und leichte Schläge. Blut aber ist noch nicht geflossen. Wohin die Eskalation der Gewalt noch führen könnte, ist allenfals angedeutet im Stein, der im rechten Vordergrund hinter dem stehenden Mann auf dem Boden liegt.

Was indes dargestellt ist, ist die verbale Drohung. Deutlich herausgearbeitet ist das linke Ohr des Mannes am Boden. „The Listener“, der Zuhörer: Das ist also zunächst einmal die Figur des Mannes auf dem Boden, der von dem unmittelbar neben ihm stehenden Mann etwas zu hören kriegt.

Wäre dem so, dann wäre das allerdings ein recht zynischer Titel für ein Bild, das die Gewalt darstellt, die ein Einzelner durch eine Gruppe erfährt.

Jeff Wall hat allerdings noch eine andere Zuweisung ins Spiel gebracht. In einem Interview äußert er: „Ich entschied, dass ich gegen den Strich gehen und ihn etwas sagen lassen würde … und außerdem wollte ich, dass jemand zuhört.“ Der Zuhörer ist nach Wall also der Betrachter, den die Figur ganz rechts aus dem Bild heraus anblickt. Der Betrachter kann dabei der Betrachter des fertigen Bildes sein, oder aber der Betrachter, der solche Szenen überhaupt erst Bild werden lässt: der Fotograf. In jedem Fall aber ergeht mit dem Titel die Aufforderung an den Betrachter respektive die Fotografie, die bloße Betrachtung im Hinblick auf eine Anteilnahme am Leiden anderer zu überschreiten.

Jeff Walls Bilder mögen wie Schnappschüsse aussehen. Tatsächllich sind sie jedoch das Ergebnis von aufwändigen Aufnahmeprozessen. Szenen, Bewegungsabläufe, Körperhaltungen und Mimik sind bis ins Detail geplant. Für „The Listener“ aus dem Jahr 2015 studierte Wall über Monate Bilder von Gewaltsituationen. Neben Kunstbildern betrachtete er dabei insbesondere auch Medienbilder, die solche Gewaltsituationen zeigen und mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind. Wall selbst bezeichnet diese Herangehensweise als „near documentary“. Was wir in „The Listener“ zu sehen bekommen, ist also in gewisser Weise das Abstraktum eines Bildes, das eine Gewaltszene zeigt, ein Derivat der vielen bildgewordenen Szenen, die wir tagtäglich zu sehen bekommen.

Jean Baudrillard hat unsere Gegenwart bekanntlich als ein Zeitalter der Simulation beschrieben, in dem sich die Welt in einem derart fortgeschrittenen Zustand der Verbildlichung befindet, dass es zunehmend unmöglich wird, den Unterschied zwischen Bild und Wirklichkeit überhaupt noch zu bestimmen. Bilder und Zeichen beruhen laut Baudrillard gerade nicht mehr auf der Nachahmung eines Originals, sondern unterlaufen das Prinzip der mimetischen Nachahmung. Das Bild bildet nichts mehr ab, es verweist als „sein eigenes Simulakrum“ auf keine Realität mehr. Was die Simulation als „Gegenkraft der Repräsentation“ erzeugt, sind Bilder ohne Vorbilder.

Walls „The Listener“ kann vor diesem theoretischen Hintergrund durchaus als kritische Auseinandersetzung mit einem Begriff des Bildes als Simulakrum verstanden werden. Indem Wall versucht, dem Opfen eine Stimme zu geben, indem er dem Bild mit dem Titel einen Zuhörer zuweist, versucht er dem Bild einen Referenten zu geben und es wieder an die Wirklichkeit zu koppeln. Diese Rereferenzierung ist allerdings fragil und erreichbar nur über die im Titel des Bildes gesetzte Ansprache eines Sinnes, der mit dem Bildhaften und der Fotografie nichts zu tun hat. Der Referent, auf den das Bild neuerlich verweisen soll, kann, wie der Titel zum Ausdruck bringt, nur über das Zuhören vermittelt werden. Um das Bild vom Leiden an den Referenten des Leidens wieder anzukoppeln, bedarf das Auge des Ohres.

 

Jeff Wall. Appearance
Kunsthalle Mannheim
02.06.2018 – 09.09.2018

Bildquelle
Jeff Wall: Appearance. Kunsthalle Mannheim

Bauchredner I

Es muss eine ausgelassene, fröhliche Geburtstagsparty gewesen sein. Überall im Raum verteilt stehen halb ausgetrunkene Limonadenflaschen und Gläser, auf dem Boden liegen verstreut allerlei Dinge. Jetzt aber ist die Szene merkwürdig statisch und unbewegt. Um eine Bauchrednerin und ihre Puppe herum steht eine Gruppe von Kindern, die deren Vorführung folgt.

Man hat Jeff Walls A ventriloquist at a birthday party in October 1947 als „Metapher für den Schaffensprozess“ verstanden. Was in Szene gesetzt ist, ist aber nicht nur der Künstler und sein Kunstprodukt, sondern auch das Publikum, für das der Schaffensprozess erfolgt. Die Verhältnisse zwischen Künstler, Kunstprodukt und Publikum werden in Walls Bild in mehrfacher Hinsicht problematisiert.

Jeff Wall, A ventriloquist at a birthday party in October 1947 (1990)Da ist zunächst das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem Kunstprodukt, also zwischen Bauchrednerin und Puppe. Nicht nur der Akt der Produktion selbst ist offensichtlich. Auch das, was in der Puppe als Kunstwerk hervorgebracht wird, ist auffällig bizarr und ein Flickwerk aus zusammenhanglosen Teilen. Dem Akt der Hervorbringung und dem Produkt ist die Künstlichkeit buchstäblich ins Gesicht geschrieben ist.

Nicht minder problematisch ist das Verhältnis zwischen Künstler / Kunstprodukt und Publikum. Wall selbst äußert, dass die Puppe mit ihrem gespenstischen Grinsen „an der Grenze der Eignung für Kinder“ sei. Die Aufführung der Bauchrednerin geht denn auch augenscheinlich am kindlichen Publikum vorbei. Zwar sind sämtliche Kinder der Aufführung zugewandt, ihre Gesichter aber sind weder zweifelnd noch fragend, weder beunruhigt noch betroffen. Links gar steht ein Junge aufrecht und die Hände hinter dem Rücken verschränkt an die Wand gelehnt: die Distanz, die er zu der Vorführung einnimmt, ist unverkennbar.

Fast scheint es, als würde Kunst hier als eine Form der Täuschung dargestellt, auf die nicht einmal mehr Kinder wirklich hereinfallen. Aber wie steht es mit dem Betrachter, der vor dem Bild steht? Fällt er noch auf das Bild herein?

Augenscheinlich ist, dass die Inszenierung, die das Bild zeigt, für den vor dem Bild stehenden Betrachter in Szene gesetzt ist. Bauchrednerin, Puppe und Kinder sind so platziert, dass zwischen den beiden Kindergruppen links und rechts eine Lücke entsteht, durch die der Betrachter das Schauspiel, das die Bauchrednerin aufführt, ungehindert betrachten kann. Walls Fotografie ähnelt einer Guckkastenbühne, die in ihrer zentralperspektivischen Ausrichtung die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das in ihr gezeigte fokussiert. Diese Fokussierung wird dadurch verstärkt, dass Walls Bild wie eine Guckkastenbühne bis auf die Seite zum Betrachter hin nach allen Seiten begrenzt und abgeschlossen ist. Das Bild gibt keinerlei Auskunft darüber, was sich außerhalb des Raumes befindet. Die beiden winzigen, an der Stirnwand des Raumes befindlichen und eigentümlich randständigen Fenster aus Ornamentglas lassen ebenso wenig wie das Fenster auf der rechten Seite, dessen Vorhang zugezogen ist, den Blick nach außen zu. Und auch in der Vertikalen ist der Blick stark eingeschränkt: die bunten Luftballons stoßen hart an die Decke.

Die zentralperspektivische Ausrichtung, die durch das Prinzip der Guckkastenbühne ins Spiel kommt, ist allerdings gestört. Es ist nicht nur die Fülle der Details, die in Jeff Walls A ventriloquist at a birthday party in October 1947 die Fokussierung auf die Bauchrednerin und ihre Puppe stört. Auch der Raum selbst, den das Bild zeigt, ist merkwürdig verzerrt. Für den Betrachter des Bildes hat dies gravierende Folgen. Denn mit der Zentralperspektive wird auch seine Souveränität in Frage gestellt.

Odradek

Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994 ist nach Jeff Wall das zweite einer zwanglosen Serie von Fotografien, die Literatur zum Gegenstand haben. Die Fotografie nimmt Bezug auf Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters, die 1919 entstand. Jeff Wall notiert zu seinem Bild: „Kafka’s story‘ Troubles of a Housholder‘ tells of the existence of Odradek, a small wooden object that is also a living being of some kind. I imagined that Odradek was still living somewhere in the city, and that if I went there, I would be able to catch a glimpse of him under a staircase, as described in the story.“

Wall unterstellt in dieser kurzen Erläuterung, dass sowohl Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters als auch seine Fotografie Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994 Wirklichkeit abbilden. Wenn Odradek, wie Kafkas Erzählung nahelegt, nicht sterblich ist, dann muss er immer noch irgendwo in Prag leben und dann kann man auch einen Blick von ihm erhaschen, sprich: ihn fotografieren.

Der Titel von Jeff Walls Fotografie spinnt dieses Spiel fort, indem er steckbriefartig Gegenstand, Ort und Zeitpunkt der Aufnahme benennt und dadurch vorgibt, die Fotografie habe einen dokumentarischen Charakter. Nun ist dem, der Kafkas Erzählung kennt, allerdings bekannt, dass Odradek eine fiktive Figur eines literarischen Textes ist. Die Lektüreanweisung, die der Titel als Paratext einem solchen Betrachter gibt, ist also erkennbar widersprüchlich, nimmt der Titel doch zugleich Bezug auf einen realen Ort und eine fiktive Figur. Wer die Erzählung Kafkas kennt und die Figur Odradek einzuordnen vermag, steht also vor dem Problem, wie die Fotografie Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994 zu verstehen ist.

Gleichwohl ist es gerade der im Titel genannte und auf einen fiktionalen Text referenzierende Eigenname Odradek, der aus dem Bild mehr macht als eine nur atmosphärisch dichte Darstellung einer jungen Frau, die in einem halb verfallenen, dunklen Hausflur eine Treppe heruntergeht. Der Name Odradek erst setzt nämlich jene Suche bei der Betrachtung des Bildes in Gang, die in Kafkas Erzählung begonnen wurde und die der Bestimmung Odradeks gilt.

Jeff Wall: Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994

Diese Suche nach dem im Titel bezeichneten Gegenstand bleibt indes sowohl in Kafkas Erzählung wie auch in Jeff Walls Fotografie ergebnislos. Denn ebenso wie der Hausvater in Kafkas Erzählung mit seinen metonymischen Verschiebungen, modalisierten Vermutungen und Formulierungen im negierten Irrealis vergeblich versucht, Odradek sprachlich zu fassen, so ist auch in der Fotografie Jeff Walls Odradek nicht auszumachen. Zwar fällt zwischen der Treppe und dem Pfeiler etwas ins Auge, das sich unmerklich vom dunklen Hintergrund abhebt. Dieses etwas kann aber nicht mit Bestimmtheit als jene Spule ausgemacht werden, als die Odradek in Die Sorge des Hausvaters beschrieben wird.

Die Ergebnislosigkeit der Suche stellt die Behauptung des Titels in Frage, die Fotografie zeige Odradek. Der Titel formuliert einen dokumentarischen Anspruch, den die Fotografie eben weil sie ihren eigentlichen Gegenstand nicht repräsentieren auch nicht einlösen kann. Walls Fotografie kann Odradek ebenso wenig bedeuten / zeigen, wie der Hausvater in Kafkas Erzählung das „Wesen“ bestimmen kann, das zwar „in seiner Art abgeschlossen“, aber „sinnlos“ erscheint. Es ist diese Abwesenheit und Unbestimmbarkeit, die Kafkas Erzählung und Walls Fotografie gemeinsam ist.

Was Wall in seiner Fotografie und ausgehend von Franz Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters verhandelt und unterminiert, ist letzten Endes die Auffassung, Fotografie bilde per se Wirklichkeit ab. Wall formuliert in Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994 eine Kritik der Repräsentation. In einem Interview mit Arielle Pélenc äußert er sich zu dieser Kritik der Repräsentation wie folgt: „Die Behauptung, dass es eine notwendige Beziehung zwischen der Darstellung und dem Dargestellten gibt, impliziert, dass der Referent als der Darstellung vorausgehend gedacht wird. Auf dieser Annahme gründet jegliche Legitimation von Repräsentation. Eine Kritik der Repräsentation weist demgegenüber darauf hin, dass Repräsentation sich genau dann ereignet, wenn jemand glaubt, dass eine Darstellung ihrem Gegenstand adäquat entspricht, was aber aus Sicht einer Kritik der Repräsentation entweder eine Selbsttäuschung oder eine Täuschung anderer ist.“

Repräsentation: das ist für Jeff Wall ein Akt der Konstruktion und der Selbsttäuschung. Die künstlerische Praxis, die Jeff Wall ausgehend von dieser Kritik der Repräsentation anstrebte, ist bekanntlich jene inszenierte Fotografie, deren Ergebnis auch Odradek, Taboritská 8, Prag, 18. Juli 1994 ist.

Literatur
Correspondence, 1996. Interview by Arielle Pélenc. In: Jeff Wall, The Complete Edition

Ohne Worte

Roland Barthes führt in Die helle Kammer, dieser ebenso knappen wie einflussreichen Bemerkung zur Photographie, einen Gedanken fort, den er fast drei Jahrzehnte zuvor in dem kurzen Essay Botschaft ohne Code formuliert hat: dass nämlich die Fotografie, weil sie mechanisch entstehe und ihr Abbildungsvorgang nicht durch einen auf Konventionalität beruhenden Code gesteuert werde, „das perfekte Analogon“ des Wirklichen sei und es daher keinen Sinn mache, in ihr nach signifikanten Einheiten zu suchen.

In Die helle Kammer findet sich dieser Gedanke in einer Zweiteilung der Begrifflichkeit- und im übrigen auch des Textes selbst – wieder. Mit Nachdruck scheidet Barthes das punctum vom studium, den beredten Diskurs vom Erschüttertsein. Die Fotografie spricht nicht, sie sticht. Darin ähnelt sie auch dem Haiku, jener japanischen Gedichtform, mit der Barthes die PHOTOGRAPHIE wiederholt auch in seiner Bemerkung  vergleicht: „alles ist bereits da, ohne daß das Verlangen nach einer rhetorischen Expansion oder auch nur die Möglichkeit einer solchen hervorgerufen würde.“

Auch in der Fotografiegeschichte der jüngeren Zeit sind solche Antipoden auszumachen. Dem in jeder Hinsicht geschwätzigen Jeff Wall, der seine Fotografien mit Peritexten und Epitexten umstellt, um ihre Rezeption zu steuern, steht etwa ein William Eggleston gegenüber. Auf die Frage, warum er seinen Fotografien niemals Titel gebe, antwortete er einmal ebenso lakonisch wie präzise: „Es gibt einfach keinen Grund dafür. Ich mag nicht einmal den Ort oder das Datum der Aufnahme angeben. Das hat einfach nichts mit Fotografie zu tun.“

Beinahe dokumentarisch

Das Museum konserviert Kunst. Was aber konserviert die Fotografie?
Die großformatigen Fotografien von Andreas Gursky und Jeff Wall, die zurzeit in der Kestner-Gesellschaft in Hannover zu sehen sind, beantworten diese Frage auf je eigene Weise.

Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost (2008)Andreas Gursky geht bei seinen Fotografien von konkreten Erfahrungen aus. Seine monumentalen Bilder aber sind keine Abbilder der Wirklichkeit. Indem er seine Fotografien digital aus vielen Einzelbildern konstruiert, erschafft er vielmehr eine künstliche Wirklichkeit, die über die Stellung des Menschen in der Welt Auskunft gibt. In Bildern wie wie Nha Trang (2004), F1 Boxenstopp I (2007) oder V&R (2011) verschwindet der Mensch in den Ordnungen, die ihm die unterschiedlichen Arbeitswelten vorgeben. Besonders beeindruckend ist dies in Hamm, Bergwerk Ost (2008) zu beobachten, wo über den Köpfen der Bergmänner, die ganz klein nur noch am unteren Bildrand auszumachen sind, die Kleiderkörbe in eine nicht enden wollende Höhe reichen. Wenn in Gurkys Bildern Einzelfiguren zu sehen sind, dann sind es ironischerweise keine realen Menschen, sondern, wie in SH I oder SH IV, Marvel-Comichelden wie Spiderman oder Iron Man, die in künstliche, zuweilen kitschig-unwirkliche Landschaftskulissen versetzt sind.

Jeff Wall, Two eat from bag (2008)Jeff Walls Bilder kommen als Schnappschüsse des Alltäglichen daher. Tatsächlich aber sind sie minutiös komponiert und bis ins Detail inszeniert. Kraft dieser Inszenierung kommt den vermeintlich unspektakulären Szenen von Passanten auf der Straße, von einem Paar, das zusammen Pommes Frites aus einer Tüte isst, oder von zwei Männern, die einen Motorblock tragen, eine gleichsam übergeordnete Bedeutsamkeit zu. Die Anziehungskraft von Walls Fotografien wird dabei zudem dadurch verstärkt, dass er seine Figuren so darstellt, als würden sie sich gerade nicht einem Betrachter darbieten und wären für ihn unerreichbar.

andreas gursky | neo rauch | jeff wall: Noch bis zum 26. Oktober 2014 zu sehen in der Kerstnergesellschaft in Hannover.