Ohne Worte

Roland Barthes führt in Die helle Kammer, dieser ebenso knappen wie einflussreichen Bemerkung zur Photographie, einen Gedanken fort, den er fast drei Jahrzehnte zuvor in dem kurzen Essay Botschaft ohne Code formuliert hat: dass nämlich die Fotografie, weil sie mechanisch entstehe und ihr Abbildungsvorgang nicht durch einen auf Konventionalität beruhenden Code gesteuert werde, „das perfekte Analogon“ des Wirklichen sei und es daher keinen Sinn mache, in ihr nach signifikanten Einheiten zu suchen.

In Die helle Kammer findet sich dieser Gedanke in einer Zweiteilung der Begrifflichkeit- und im übrigen auch des Textes selbst – wieder. Mit Nachdruck scheidet Barthes das punctum vom studium, den beredten Diskurs vom Erschüttertsein. Die Fotografie spricht nicht, sie sticht. Darin ähnelt sie auch dem Haiku, jener japanischen Gedichtform, mit der Barthes die PHOTOGRAPHIE wiederholt auch in seiner Bemerkung  vergleicht: „alles ist bereits da, ohne daß das Verlangen nach einer rhetorischen Expansion oder auch nur die Möglichkeit einer solchen hervorgerufen würde.“

Auch in der Fotografiegeschichte der jüngeren Zeit sind solche Antipoden auszumachen. Dem in jeder Hinsicht geschwätzigen Jeff Wall, der seine Fotografien mit Peritexten und Epitexten umstellt, um ihre Rezeption zu steuern, steht etwa ein William Eggleston gegenüber. Auf die Frage, warum er seinen Fotografien niemals Titel gebe, antwortete er einmal ebenso lakonisch wie präzise: „Es gibt einfach keinen Grund dafür. Ich mag nicht einmal den Ort oder das Datum der Aufnahme angeben. Das hat einfach nichts mit Fotografie zu tun.“