Apokryphen sind Texte, die aus inhaltlichen Gründen oder weil Ihre Autorität nicht allgemein anerkannt war, nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden.
Apokryphen heißt auch die jüngste Bilderserie der Fotografin Ricarda Roggan, die zusammen mit anderen fotografischen Arbeiten der Künstlerin derzeit in einer Überblicksschau im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen zu sehen ist. Die mehr als 80 kleinformatigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Serie, die im Zentrum der Ausstellung Echo stehen, zeigen alltägliche Gegenstände, die einst bedeutenden Persönlichkeiten gehörten und heute in den Archiven von Personenmuseen verwahrt werden.
Nun sind Gegenstände keine Texte. Wenn sie dennoch als Apokryphen behandelt werden, dann ist das aber allemal eine Aufforderung, sie nach ihrem Überlieferungsgehalt zu befragen. Dass dieser womöglich mit der kanonischen Überlieferung konkurriert, die durch die philosophischen, literarischen und musikalischen Werke ihrer einstigen Besitzer gebildet wird, ist im Begriff des Apokryphen mitgedacht.
Bevor die Dinge ihre Geschichte erzählen, werden sie aber zunächst einmal aller Geschichte entledigt. Dargeboten werden die alltäglichen Hinterlassenschaften nämlich in einem strengen, szientifisch anmutenden Raster. Die Dinge sind durchweg und uniform platziert auf einer Fläche, die vertikal zum Hintergrund in Abständen von wenigen Zentimetern gerillt ist, wobei die untere Partie stets von einem schwarzen Streifen gebildet wird. Der Hintergrund ist grau, die Beleuchtung erfolgt von oben und gestreut. Diese schematische Ordnung, die die Dinge insbesondere hinsichtlich ihrer Größe vergleichbar macht, wird auch dann durchgehalten. wenn das abgebildete Ding, wie im Fall von Ernst von Schuchs Stoffhund, durch den oberen Rand des Bildes beschnitten wird, oder, wie im Fall von Johann Gottfried Seumes Degen, gleich drei Bilder benötigt, um vollständig abgebildet zu werden.
Die Art und Weise, wie die Dinge in Szene gesetzt werden, erinnert an Aufnahmen von frisch gehobenen, archäologischen Fundstücken. Es sind keine Reliquien, die hier abgelichet sind, sondern Relikte. Wie archäologische Fundstücke, die gerade zutage gefördert wurden, haben auch sie noch keine Geschichte. Nur dass es hier die Inszenierung ist, die sie ihrer Geschichte enthebt. Aber nur, um sie zugleich für neue Zuschreibungen anzubieten.
Bildquelle
Kunstverein Hannover