Kein Dreiakter

Man hat Vilém Flusser vorgehalten, dass seine Kulturgeschichte als Kulturgeschichte der medialen Codes Bild, Schrift und Techno-Bild die lineare Struktur der Textualität zwar verwerfe, ihr aber dadurch verhaftet bleibe, dass sie selber linear angeordnet ist. Indem er Geschichte als Medienkulturgeschichte entwerfe, die mit den ihnen korrespondieren Medien Bild, Schrift und Techno-Bild drei große kulturtechnische Perioden durchläuft, bewege er sich in jenen „Mustern des skripturalen Schemas“, das Geschichte in einem „impliziten Hegelianismus“ als erzählbare Geschichte als Dreiakter dramatisiert.

Betrachtet man nur den Inhalt der Narration, mag dies gerechtfertigt sein. Wenn man jedoch in den Blick nimmt, wie Flusser den Dreiakter erzählt, so wird schnell deutlich, dass die narrative Praxis, die sein Schreiben kennzeichnet, jenseits der linearen Ordnung der Textualität stattfindet.  Thematik, Methodik, Genre und Format seiner Schriften sind äußerst vielgestaltig und unübersichtlich. Flusser denkt in Fragmenten und Konstellationen. Seine Gegenstände umkreist und ertastet er, wobei nicht immer klar ist, worauf er sich bezieht oder woran er anschließt. „Eher haben wir es mit nicht abgeschlossenen Theorien, mit ‚Texten an der Arbeit‘ oder ‚Projekten‘ zu tun, die kein definitives Urteil erlauben“, resümiert Dieter Mersch in Medientheorien das Denken Vílem Flussers.

Der narrativen Praxis entspricht die Erfahrung der Lektüre. Sein Schreiben folgt der Logik des Bildes: es ist nicht linear, sondern entfaltet sich wie ein Bild in der Beziehung seiner Elemente. Flussers Essay für eine philosophie der fotografie beispielsweise muss man nicht vom Anfang zum Ende hin lesen. Die Lektüre kann mit jedem Kapitel beginnen.

Literatur
Dieter Mersch: Medientheorien zur Einführung