Lichtbilder im Städel

Lichtbilder. Fotografie im Städel Museum von den Anfängen bis 1960
Städel Museum, Frankfurt

9. Juli bis 5. Oktober 2014

1839 stellt Daguerre in der Akademie der Wissenschaften in Paris sein Verfahren der Daguerreotypie vor. Nur sechs Jahre später fand im Städel Museum in Frankfurt die weltweit vermutlich erste Fotoausstellung in einem Kunstmuseum weiter statt, bei der Porträtaufnahmen des in Frankfurt Fotografen Sigismund Gerothwohl gezeigt wurden. Und noch einmal wenige Jahre später, 1852, konnte das Städel Museum, das bereits in den 1850er Jahren damit begonnen hatte, Kunstreproduktionen, Genreszenen, Landschaften und Stadtveduten zu sammeln, die erste Ausstellung von Fotografien aus eigenem Bestand durchführen.

Mit der Ausstellung Lichtbilder. Fotografie im Städel Museum von den Anfängen bis 1960 knüpft das Städel Museum in Frankfurt 175 Jahre nach der Bekanntgabe der Daguerreotypie an dieses Ereignis an und nimmt in neun Ausstellungsräumen die bewegte Geschichte der Fotografie von ihren Anfängen bis 1960 in den Blick.

Die Ausstellung Lichtbilder zeigt dabei nicht nur Bilder von bekannten Fotografen wie Nadar, Gustave Le Gray, Roger Fenton oder Julia Margaret Cameron aus der Frühzeit der Fotografie und Fotografiegrößen des 20. Jahrhunderts wie Alfred Stieglitz, Otto Sander, Albert Renger-Patzsch, Heinrich Kühn, Man Ray oder Otto Steinert. Zu sehen sind auch Bilder von Fotografen, die heute so gut wie vergessen sind.

In Erinnerung an die erste Fotoausstellung 1845 wird Lichtbilder mit Sigismund Gerothwohls Herrenbildnis aus dem Jahr 1845 eröffnet. Neben der Porträtfotografie, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Wunsch des aufstrebenden Bürgertums nach Selbstdarstellung bediente, stellten Aufnahmen von Bauwerken und historischen Denkmälern, Kunstschätzen und kulturhistorischen Stätten Europas und des Nahen Ostens ein lukratives Geschäft für die Fotoateliers dar, die schon bald nach 1839 nicht nur in den europäischen Großstädten zahlreich gegründet wurden. Bekannte Namen aus dieser Zeit sind Edouard Baldus, die Brüder Bisson, Frances Frith, Wilhelm Hammerschmidt, Charles Marville oder der aus Frankfurt stammende Fotograf Georg Sommer, der 1856 nach Italien zog und dort als Giorgio Sommer bekannt wurde. Sommers Fotografien von italienischen Landschaften, antiken Stätten und Genreszenen des einfachen Lebens der italienischen Bevölkerung waren zur damaligen Zeit beliebte Souvenirs, bedienten sie doch die Sicht der Reisenden auf Italien als vorindustrielle, ursprüngliche Lebenswelt.

Otto Steinert, Ein-Fuß-GängerIn den Fotografien von belebten Marktplätzen etwa in Rom zeigen sich, schaut man genau hin, aber auch die Unzulänglichkeiten der technischen Apparatur dieser Zeit. Die Menschen, die sich während der erforderlichen langen Belichtungszeiten auf den Plätzen bewegten, sind nämlich nur noch schemenhaft und als verwischte Schatten erkennbar. Ein paar Ausstellungsräume weiter ist dann eine Fotografie von Otto Steinert zu sehen, der in den 1950er Jahren maßgeblich das Konzept der subjektiven fotografie prägte. Steinerts Ein-Fuß-Gänger zeigt von schräg oben fotografiert einen breiten Gehsteig, der an eine gepflasterte Straße grenzt. Links auf dem Gehsteig wurzelt ein Baum, dessen Krone das Bild zwar nicht mehr zeigt, dessen Stamm auf dem Boden aber von einer Eisenrotte umgeben ist, die diese Krone zu ersetzen scheint. Am rechten Bildrand und korrespondierend zum Stamm ist ein Bein eines Fußgängers zu sehen, dessen restlicher Körper durch die starke Draufsicht der Aufnahme und die gewählte lange Belichtungszeit nur noch als verwischter Schatten zu sehen ist.

Dass in der Fotografie schon bald nach ihrer Erfindung auch die Frage nach ihren technischen Möglichkeiten in den Vordergrund rückte, zeigt der nächste Ausstellungsraum, in dem unter anderem Fotografien des britischen Fotografen und Pioniers der Fototechnik Eadweard Muybridge zu sehen sind. Muybridge, der auch einen Ruf als Landschaftsfotograf genoss, konnte 1872 in einer aufsehenden Momentfotografie zeigen, dass Pferde beim Galoppieren mit sämtlichen Hufen den Kontakt zum Boden verlieren. Mit seinen Momentfotografien löste er auch eine heftige Diskussion über die Frage aus, ob die Maler weiterhin ihren Augen trauen und an der traditionellen Darstellungsweise festhalten oder ob sie die Fotografie zur realistischen Wiedergabe der Welt zu Hilfe nehmen sollten.

Die Auseinandersetzung zwischen Fotografie und Malerei, die schon bald nach der Erfindung der Fotografie einsetzte und die durch die aufsehenden Veröffentlichungen Muybridges oder seines Zeitgenossen Ètienne-Jules Mareys weiter befeuert wurde, bildet auch den Hintergrund, auf dem sich um die Wende vom 19. zum. 20. Jahrhundert der Piktorialismus ausbildete. Lichtbilder zeigt hier mit Heinrich Kühn Fotografien des exponiertesten Vertreters dieser fotografischen Richtung. Kühn, der glaubte, der Kunstanspruch der Fotografie sei nur dann einzulösen, wenn der Fotograf von der Aufnahme bis zum Bild eine vollständige Kontrolle habe, experimentierte mit Linsen und Papier, neuen Drucktechniken, farbigen Abzügen und nicht zuletzt auch mit Autochromes, einem frühen Farbfotografieverfahren, das die Brüder Lumière entwickelt hatte. Das Ergebnis seiner erfindungsreichen neuen Verfahren waren stimmungsvolle Bilder, die sich erkennbar und mit Nachdruck an der Malerei orientieren.

Die weiteren Ausstellungsräume widmen sich dem Neuen Sehen, das sich mit seiner nüchternen Bildsprache und einem direkten Blick auf das gesellschaftliche Geschehen wiederrum vom Piktorialismus absetzte, dem Surrealismus und der tschechischen Fotoavantgarde sowie, im letzten Ausstellungsraum, der Gruppe fotoforum und deren Versuchen, sich unter Rückgriff auf die Fotografie der Zwischenkriegsjahre von der propagandistischen Fotografie in der Zeit des Nationalsozialismus abzugrenzen. Neben Fotografien von Otto Steinert werden hier Bilder von Peter Keetman, Siegfried Lauterwasser, Wolfgang Reisewitz, Toni Schneiders, Otto Steinert und Ludwig Windstosser gezeigt.

Ludwig Windstossers Fotografie Olymiastadion aus dem Jahr 1972, die in einem Ausschnitt und frontal aufgenommen die vollbesetzte Tribüne des Olympiastadions in München zeigt und auf der die Menschen nur noch als kleine farbige Punkte auszumachen sind, wirkt dabei wie die Vorwegnahme der großformatigen Farbfotografien Andreas Gurskys.

Zusammenfassend kann man sagen: Lichtbilder ist eine großartige Ausstellung. Und auch wenn mit Sicherheit nicht alle Entwicklungslinien der Fotografie nachgezeichnet werden, so zeigt sie doch wichtige Tendenzen der europäischen Fotografie von 1839 bis 1960.