Island

Reykjavik

Reykjavik empfängt uns mit sonnigem Wetter und der Pride Parade, die den Abschluss der auch dieses Jahr im August stattfindenden Reykjavik-Pride bildet. Die Parade startet am frühen Nachmittag an der Hallgrimskirkja-Kirche, von wo es kreuz und quer durch die Stadt geht. Reykjavik ist mit knapp 140000 Einwohnern die bei weitem größte Stadt Islands und man hat den Eindruck, die Hälfte der Stadt steht am Straßenrand und schaut zu und die andere Hälfte läuft in Umzug mit. Die Parade ist bunt, fröhlich und hin und wieder auch ziemlich schrill. Alle haben Spaß und noch lange nach Ende der Parade sieht man versprengte Dragqueens durch die Stadt spazieren.

 

Nach der Parade zieht es uns ans Meer. Von der Strandpromenade Reykjaviks hat man einen schönen Blick Richtung Nordosten auf die vorgelagerten Inseln Engey und Viðey. Der Hafenbereich wird beherrscht durch die Harpa, das Opern- und Konzerthaus Reykjaviks, das aus zwei leicht versetzten quaderförmigen Teilen mit schrägen Kanten besteht. Mit seiner wabenartigen Glasfassade, die je nach Wetter auf die wechselnden Tageslichtfarben reagiert und in der sich Stadt, Meer und Himmel spiegeln, öffnet sich das Kulturzentrum Reyjkjaviks hell und einladend zum Meer hin.

 

Island hat eine ausgeprägte Lesekultur und mehr Autoren, mehr veröffentlichte Bücher und mehr gelesene Bücher pro Kopf als jedes andere Land der Welt. Angeblich veröffentlicht jeder zehnte Isländer ein Buch, weswegen man in Island eigentlich auf Schritt und Tritt Schriftstellern begegnen müsste.

Eine Buchhandlung in Reykjavik zu finden, ist nicht schwer. Es gibt die Hús máls og menningar, in der man tagsüber einen Kaffee trinken und abends bei einem Bier Livemusik hören kann, oder die kleine Buchhandlung The Old Bookstore in Reykjavik, die im Stadtzentrum an einem kleinen Platz mit Bars liegt. Unbedingt reinschauen sollte man aber in die Buchhandlung Bókin Books in der Klapparstigur 25. Betritt man diese, muss man unweigerlich an die Bibliothek in Borges Erzählung „Die Bibliothek von Babel“ denken, die in der Erzählung als labyrinthisch verzweigter Ort der Irrungen und Wirrungen beschrieben wird. Wie der Besucher in der Erzählung von Borges irrt man in dieser ganz besonderen Buchhandlung herum, in der man buchstäblich Bücher über Bücher findet und in der es herrlich nach Papier riecht. Und wie in Borges Erzählung bleiben einem die meisten der Bücher unverständlich: hier schlichtweg, weil sie auf Isländisch geschrieben sind. Den einen oder anderen englisch- oder deutschsprachigen Titel findet man dann aber doch und so erstehen wir einen englischsprachigen Roman von Doris Lessing.

Natur und Landschaft

Zwei Tage sind wir in Reykjavik. Dann geht es los mit unserer Fahrt auf der Ringstraße um die Insel. Schon an der Südküste Islands, der auch für Tagestouristen aus Reykjavik noch gut erreichbar ist, reihen sich die Sehenswürdigkeiten.

Zuweilen hat man den Eindruck, man fährt durch einen großen Naturpark mit grandiosen Wasserfällen, Küsten und Ausblicken auf die Gletscher im Hochland Islands. In weiten Teilen und vor allem in küstennahen Bereichen fährt man aber durch eine menschengemachte Landschaft, in der Landwirtschaft und Schafzucht betrieben werden. Als Ende des 9. Jahrhunderts die ersten Siedler auf Island angelangten, war Island zu 65% von Vegetation und dichten Wäldern bedeckt. Die Moorbirken, Ebereschen, Espen und Weiden fielen aber schnell der Gewinnung von landwirtschaftlichen Flächen, der Schafzucht und der Erzeugung von Holzkohle zum Opfer. Bereits um 1300 war isländisches Holz so knapp, dass die katholische Kirche begann sich Holzreste anzueignen und man begann, beim Bau von Gebäuden auch Treibholz zu verwenden.

Die staatlichen Bemühungen hinsichtlich Wiederaufforstungsmaßnahmen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts unternommen wurden, waren immer wieder von Rückschlägen geprägt, da die gesellschaftlich und finanzielle Unterstützung schwankte. In der Folge der Finanzkrise 2008 wurden sogar erstmalig wieder Wälder zu ökonomischen Zwecken ausgedünnt.

Die weite und schroffe Landschaft, durch die man fährt oder wandert und die bei Sonne und Wolken in allen nur denkbaren Grün-, Gelb- und Rottönen leuchtet, ist aber beeindruckend. Und immer wieder findet man auch Orte, an denen man weitestgehend alleine die grandiose Natur Islands in Ruhe und Stille genießen kann. Zuweilen hilft es auch, sich einfach möglichst früh auf den Weg zu machen.

Auswanderung in Island

In Island gibt es zahlreiche Orte und Sehenswürdigkeiten, die an die frühe Besiedlung Islands erinnern. Wer hingegen etwas über die Emigration erfahren will, sollte das Museum Vesturfarasetrið in Hofsós am Skagafjörður besuchen. Schon der Weg dahin lohnt sich, da man kurz vor Hofsós nur wenige Meter abseits der Straße die Grafarkirkja besuchen kann: die älteste Torfkirche Islands und zudem die einzige, die mit einem Torfwall umgeben ist. In ihrer Wetterfahne sind über die vielen Jahre, in der die Kirche in der herrlichen Umgebung mit Blick auf die für Island typischen abgeflachten Berge steht, die letzten beiden Zahlen der Jahresangabe herausgebrochen. Kurz vor Hofsós gibt es zudem einen sehr schönen Küstenabschnitt mit Basaltsäulen.

 

Im Museum Vesturfarasetrið erfährt man viel über die Auswanderung zwischen 1870 und 1914, als über 16 000 Isländer ihre Heimat wegen der dramatischen klimatischen, sozialen und wirtschaftlichen Situation vor allem in Richtung Amerika, aber auch nach Südamerika verließen. Im Jahr 1875 bedeckte ein Ausbruch des Vulkans Askja Teile des Nordens und Ostens mit giftiger Asche und Bimsstein, was die ohnehin schon verzweifelte Lage vieler Bauern noch verschlimmerte. In ganz Island kam es in der Folge zu harten Wintern, kalten Sommern, heftigen Winden und schweren Schnee- und Sandstürmen, die zu Bodenerosion, Missernten und dem Verlust von Viehbeständen führten.

Ausrangierte Fahrzeuge

In Deutschland landen ausrangierte Fahrzeuge auf Schrottplätzen oder in der Schrottpresse. In Island stehen sie in der Landschaft, auf der Wiese oder am Straßenrand. Entlang von kleineren Straßen stößt man immer wieder auf mehr oder weniger große Autofriedhöfe, auf denen Fahrzeuge teilweise schon seit Jahrzehnten vor sich hin rosten. Mal findet man sie in wilden Deponien, mal liebevoll platziert in einer Ecke des heimischen Gartens, das Gras um das Auto herum akkurat geschnitten, mal im Vorgarten zur Schau gestellt wie in einem Autosalon: Schaut, was ich mal gefahren habe!

Hinweistafeln

In Island sind viele Hinweistafeln, die an Parkplätzen nahe bei Sehenswürdigkeiten stehen, über und über mit Stickern beklebt. Zuweilen so, dass man die auf ihnen stehenden Informationen gar nicht mehr lesen kann. Was mag wohl auf der Hinweistafel auf dem Parkplatz beim Wasserfall Seljalandsfoss stehen, von dem aus man den Wasserfall und die Unmengen an Touristen bereits sieht: dass man am besten ein Regencape trägt, wenn man hinter dem Wasserfall hindurchgeht, dass man nicht drängeln soll oder dass es eine Stelle vor dem Wasserfall gibt, an der jeder, aber auch wirklich jeder ein Selfie von sich macht? Was die Sticker auf jeden Fall bekunden: dass die, die hier waren, irgendwie und im übertragenen Sinn dauerhaft hier bleiben und diesen Ort okkupiert haben. Gerne, vielleicht aber auch nicht gerne möchte man wissen, was die Isländer sich denken, wenn sie vor solchen Hinweistafeln stehen.

Druckausgleichanlagen

Vom östlichen Stadtrand von Hverargerði führt ein Wanderweg zum Tal Reykjadalur, das im Vulkangebiet Hengill und damit in einem der aktivsten geothermischen Regionen Islands liegt. Im Reykjadalur gibt es nicht nur viele heiße Quellen und Fumarolen, durch das Tal fließt auch der Fluss Reykjadals, der durch die geothermischen Quellen an vielen Stellen auf bis zu 39 Grad erwärmt wird und in dem man baden kann. Wegen der ausgeprägten Geothermie wird das Tal auch für die Stromproduktion genutzt und beherbergt mehrere geothermale Kraftwerke, die einen erheblichen Teil des Strombedarfs Islands decken.

Im leicht hügeligen Gelände steigen an mehreren Stellen dichte, weiße Rauchwolken auf. Tatsächlich treten sie in diesem unteren, ersten Teil der Wegstrecke zum Reykjadals aber nicht direkt aus der Erde aus, sondern werden durch Druckausgleichanlagen ausgeschieden.

Touristen und Isländer


Dies und das

In den Wind blasen

Basel: Morgenstraich

Rinko Kawauchi: Utatane

Utatane heißt eine 2001 erschienene Serie von Fotografien der japanischen Fotografin Rinko Kawauchi. Utatane bedeutet so viel wie Sekundenschlaf. Und tatsächlich scheint es so, also inszeniere nicht die Fotografin die Fotografien, sondern als tauchten diese wie Traumbilder aus einem Unbewussten auf.

Gleichwohl gehorcht die Serie einem ebenso subtilen wie strengen Ordnungsprinzip. Die quadratischen Fotografien bilden jeweils Paare, die inhaltlich, formal oder farblich aufeinander Bezug nehmen. Was in den zerbrechlichen High Key-Fotografien Rinko Kawauchis dabei aufscheint, sind die kleinen, zumeist unbeachteten Dinge und Szenen des Alltags. Beiläufig zeigen die schnappschussartigen Fotografien mit ihren schiefen Horizontlinien, Unschärfen und harten Schnitten Menschen in der U-Bahn und auf Straßen, spielende Kinder, tägliche Verrichtungen usw.

Das Gewöhnliche weist allerdings über sich hinaus. Die Fotografien verhandeln zumal in ihren paarweisen Gegenüberstellungen grundlegende Themen: die Zerbrechlichkeit des Lebens, Grundbedürfnisse allen Lebens wie z.B. Durst oder Alter, Sterben und Tod. Der Mensch erscheint in Rinko Kawauchis Fotografien nicht als Wesen, das aus dem Kreis der ihn umgebenden Lebewesen und Dinge hervorgehoben ist, sondern als Teil eines spirituellen Ganzen, das keine Unterschiede kennt.

Georgien

Tiflis

Tiflis ist nicht nur die Hauptstadt Georgiens. Es ist mit knapp 1.3 Millionen Einwohnern mit Abstand auch die größte Stadt Georgiens. Batumi, immerhin die zweitgrößte Stadt Georgiens, hat lediglich 183.000 Einwohner.

Tiflis liegt im Zentrum der Kaukasus-Landenge im östlichen Teil Georgiens. Es erstreckt sich auf etwas mehr als 20 Kilometer entlang des Flusses Mtkwari. Da Tiflis im Westen vom Berg Mtazminda, im Osten von der Hügelkette Machata und im Süden vom Mtabori und dem Gebirgszug Sololaki begrenzt wird und die Stadtbezirke Höhenunterschiede von bis zu 350 Metern haben, ziehen sich viele Wohnviertel in Terrassen die umgebenden Hänge hinauf. Dementsprechend eng geht es auch in der Altstadt von Tiflis zu, die am linken Ufer der Mtkwari liegt und deren enge Straßen und Gassen sich den Sololaki hinaufwinden.

Der Wohlstand von Tiflis verdankte sich seit jeher dem Handel. Im 11. Jahrhundert waren es sieben europäisch-asiatische Handelswege, die durch Tiflis führen. Dieser Wohlstand bescherte Georgien und Tiflis allerdings eine wechselvolle Geschichte. Seine Unabhängigkeit war stets bedroht. Mal waren es Perser, Mongolen oder Osmanen, die Georgien beherrschten, mit Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich die Russen.

Die Zugehörigkeit zum russischen Kaiserreich brachte Georgien und Tiflis, das ab 1801 Hauptstadt des Gouvernement Transkaukasien war, aber auch neuen Reichtum. Dieser führte insbesondere nach 1845, als Tiflis zur Residenz des russischen Kaisers ernannt wurde, zu einer intensive Bautätigkeit. Mit der Absicht, Transkaukasien näher an Europa heranzuführen, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Theater, Hotels, Museen sowie erste Bibliotheken und andere Bildungseinrichtungen in europäischen Architekturstilen, die bis heute das Stadtbild prägen.  Im Zusammenhang mit der Schaffung eines repräsentativen Zentrums wurden auch die Stadtmauern abgerissen, die bis dahin Tiflis umgaben und städtebaulich einschränkten. Der Bau der Transkaukasischen Eisenbahn brachte schließlich weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Ab 1872 rollten die ersten Züge von Tiflis nach Batumi ans Schwarze Meer und in die andere Richtung nach Baku ans Kaspische Meer.

Georgien, Tiflis (08/2024)

Seit den 1990er Jahren sind Architektur und Stadtplanung vor allem in Tiflis von internationalen Strömungen geprägt. Micheil Saakaschwili, der nach der Rosenrevolution von 2004 bis 2013 Staatspräsident Georgiens war, holte internationale Architekten wie Michele de Lucchi, Doriana und Massimiliano Fuksas oder Jürgen Mayer H. nach Georgien. Heute präsentiert sich das neue Tiflis auf engstem Raum links und rechts der Mtkwari mit der Public Service Hall, der Friedensbrücke, dem Präsidentenpalast und der Konzert- und Ausstellungshalle als moderne, weltoffene Stadt. Vom Denkmal der „Mutter Georgiens“, das oberhalb der Altstadt thront und das man mit einer Seilbahn vom Rike-Park jenseits der Altstadt aus bequem erreicht, bietet sich ein schöner Blick über das alte und das neue Tiflis – zumal bei Nacht.

Kritiker bemängeln allerdings, dass vor allem nach 2004 vorrangig der Bau neuer, öffentlicher Gebäude gefördert und zu wenig für den Erhalt der historischen Bausubstanz getan wird, zu der auch Bauwerke aus der Sowjetzeit zählen. Hinzu kommt, dass Georgien auf einem seismisch aktiven Gebiet liegt und immer wieder von Erdbeben heimgesucht wird. Das letzte schwere Beben beschädigte 2002 in Tiflis über 10.000 Gebäude. Und so sieht man in Tiflis auch heute noch eingestürzte Wohnhäuser, bei denen weggebrochene Frontfassaden den Blick freigeben auf Zimmer, an deren Wände noch Bilder der ehemaligen Bewohner hängen oder in denen noch Anrichten mit Geschirr stehen.

 

Ist es auf der Westseite der Mtkwari die Monumentalstatue  Kardlis Deda, die Mutter Georgiens, die, eine Schale Wein für die Freunde in der linken Hand und ein Schwert gegen die Feinde in der rechten, über Tiflis thront, so ist es auf der Ostseite auf dem Elias Hügel die Sameba-Kathedrale. Sie ist Georgiens größter Sakralbau und Symbol der wiedererstarkten georgisch-orthodoxen Kirche. Da ihr Entwurf noch aus Sowjetzeiten stammte, wurde sie nach dem Ende der UdSSR nicht mehr vom Staat finanziert. Als Geldgeber fungierte der georgische Geschäftsmann und Milliardär Bidsina Iwanischwili, der in den ersten Jahren nach der Rosenrevolution noch Micheil Saakaschwili und dessen liberale, proeuropäische Politik unterstützte, von 2012-2013 kurz selbst Regierungschef Georgiens war und zwischenzeitlich den prorussischen Kurs Georgiens befördert.

 

Die U-Bahn von Tiflis

Die Untergrundbahn von Tiflis wurde 1966 eröffnet, als Tiflis noch Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik Georgien war. Sie war nach Moskau, Leningrad und Kiew das vierte U-Bahnsystem, das in der Sowjetunion entstand. Ihre Planung fällt zeitlich zusammen mit der neuen Etappe der georgischen Architektur, dem Modernismus, für den der Verzicht auf traditionellen Architekturschmuck, die Neigung zu einfachen geometrischen Formen, offene Glasfassaden und der breite Einsatz von Eisen und Beton kennzeichnend sind.

Die U-Bahnstrecke von Tiflis wurde mit der U-Bahnstation Rustaweli eröffnet. An dieser Station steigen wir auch zum ersten Mal in eine U-Bahn. Rustaweli ist eine unterirdische Station mit einem oberirdischen Pavillon und befindet sich in der Nähe einer Grünanlage.  Mit 100 Meter Tiefe ist Rustaweli die tiefste Station in Tiflis. Schon die Fahrt mit der durchgehenden Rolltreppe nach unten ist also ein Erlebnis. Eine gute Minute dauert es, bis man endlich den Bahnsteig erreicht, einen dreiteiligen, von Pylonen geteilten Raum, schlicht und schnörkellos.

Und dann kommt sie: die U-Bahn von Tiflis. Sie ist schon etwas in die Tage gekommen und ein bisschen angeschlagen. Wir springen rein und schon geht es mit einem Höllenlärm und Gerumpel los Richtung Altstadt.

Garedscha-Halbwüste und Regenbogen-Berge

Von Sighnaghi im Herzen der Weinanbauregion Kachetien unternehmen wir eine Tagestour zum Kloster Dawit Garedscha. Zunächst geht es mit unserem Fahrer erst einmal wieder Richtung Tiflis, von wo wir vor zwei Tagen mit einem Marschrutka nach Sighnaghi gekommen sind. Etwa auf halber Strecke verlassen wir in Sagaredscho die gut ausgebaute Straße nach Tiflis und fahren auf einer Nebenstraße Richtung Süden. Bald liegen die letzten Häuser von Sagaredscho hinter uns. Auf der Straße ist an diesem Vormittag nicht viel los und bis zum Kloster wird uns nur hin und wieder ein Fahrzeug entgegenkommen. Die schmale Landstraße, auf der wir unterwegs sind, führt – mal schnurgerade, mal mäandernd – durch eine überwältigend schöne, sanft hügelige Halbwüste, vorbei an dem kleinen Mlashe Salzsee. Nur wenige Male passieren wir auf der weiteren Fahrt kleine Ortschaften.

 

Georgien, Garedscha-Halbwüste (09/2024)Unser Fahrer ist augenscheinlich touristenerprobt. Bei der Fahrt hält er von selbst immer wieder an Stellen, an denen sich besonders schöne Ausblicke auf die weite, menschenleere Steppenlandschaft bieten. Wenige Kilometer vor dem Kloster ändert sich dann das Landschaftsbild. Abrupt geht die Halbwüste mit ihren sanften Hügeln über in eine Oberflächengliederung mit markanten, schräg gestellten Schichten aus Sedimentgestein, das an diesem Tag, durch die lockere Wolkenbildung verstärkt, in unterschiedlichen Rottönen leuchtet: die Regenbogen-Berge. Erdgeschichte türmt sich bildhaft vor einem auf.

Nach etwas mehr als zwei Stunden erreichen wir das Kloster Dawit Garedscha. Das georgisch-orthodoxe Kloster, das unmittelbar an der Grenze zu Aserbaidschan am Berg Udabno in den Fels gehauen ist, war über Jahrhunderte eines der wichtigsten spirituellen und kulturellen Zentren Georgiens und ist das älteste Kloster Georgiens. Die erste Besiedlung datiert auf das 6. Jahrhundert. Ab dem 9. Jahrhundert wurde es kontinuierlich ausgebaut und erweitert. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg richteten die Sowjets in Dawit Garedscha einen Truppenübungsplatz ein und das Kloster blieb bis zum Ende der Sowjetunion geschlossen. Nachdem es 1990 aber erneut zum Kloster geweiht wurde, lebt heute wieder eine kleine Klostergemeinschaft in der Anlage, von der wir bei unserem Besuch aber nichts bemerken. Die Rückfahrt ist dann ein einziges waghalsiges Überholmanöver. Unser Fahrer holt das Letzte aus seinem doch schon etwas älteren Mercedes heraus, da er sich offensichtlich vorgenommen hat, zeitig wieder zurück in Sighnaghi zu sein.

Von Kutaissi nach Mestia

Morgens um 7:45 Uhr im Hotel noch ein schnelles Frühstück. Dann geht es auch schon zum zentralen Busbahnhof von Kutaissi. Es erweist sich auch heute als eine gute Entscheidung, eine gute halbe Stunde vor Abfahrt des Marshrutka am Busbahnhof zu sein. Wir ergattern dadurch zwei der letzten vier Plätze im Kleinbus nach Mestia.

Es gibt von Kutaissi aus keine direkte Verbindung nach Mestia. So geht es in der vollbesetzten Marshrutka in einem großen westlichen Bogen zunächst Richtung Senaki und Chobi und über Tsaishi und Sugdidi dann nach Norden. Ab Dschwari verläuft die Straße bis wenige Kilometer vor Mestia parallel zum Flus Enguri. Kurz hinter Dschwari ist der Enguri zu einem Stausee aufgestaut. Noch ist die Straße gut ausgebaut. Ab Dizi aber wird sie eng und ruppig. Alle paar Kilometer passiert man zudem Straßenbauarbeiten. Am Vormittag ist die Straße zum Glück noch wenig befahren und so kommen uns nur wenige PKW und LKW entgegen. Die Straße führt kontinuierlich auf und ab. Mal fährt man auf Höhe des Enguri, mal liegt der Enguri 100 bis 200 Meter unterhalb der Straße in seinem engen Tal. Auf halber Strecke zwischen Khaishi und Dizi erhaschen wir das erste Mal einen Blick auf die schneebedeckten Gipfel des Großen Kaukasus.

Nach gut fünf Stunden Fahrt erreichen wir, gut durchgerüttelt, endlich Mestia, das auf 1.500 Meter Höhe liegt. Erstaunlich, dass einige der Mitreisenden die Fahrt über weite Strecken geschlafen haben, ja überhaupt schlafen konnten. Unser Guest House ist schnell gefunden, so dass wir am Nachmittag noch genügend Zeit haben, um mit der Seilbahn von der Talstation in Mestia über zwei Etappen bis auf knapp 2.400 Meter zu fahren. Von hier aus hat man einen grandiosen Blick auf den Ushba, einen Doppelgipfel im Hauptkamm des Großen Kaukasus, dessen Nordgipfel 4737 Meter hoch ist. Auf der anderen Seite des Ushba liegt schon Russland.

 

Batumi

Batumi boomt. Wo man auch hinschaut: es wird wie verrückt gebaut. Glücksspiel und Badetourismus sind die Wirtschaftsfaktoren, welche die Stadtentwicklung in den letzten 10 Jahren geprägt haben und die Batumi nicht nur neue Hotels, Appartementhäuser und Kasinos beschert, sondern auch zu einer rasanten Bevölkerungsentwicklung geführt haben.

 

Trotz der Kasinos und der Strände sollte man aber nicht vergessen, dass Batumi auch Georgiens Haupthafen ist. Das Erdöl war um 1900 die Grundlage für die Entwicklung Batumis. Es wurde im Kaspischen Meer bei Baku in Aserbaidschan gefördert, über die Transkaukasische Eisenbahn und die weltweit erste kontinentale Ölpipeline (1904 in Betrieb genommen) zum Schwarzen Meer transportiert und im Hafen von Batumi verschifft. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts kam dann mit dem Tourismus ein weiteres wirtschaftliches Standbein dazu, wobei mit der Tauwetterperiode in den Ostblockstaaten der Ausbau Batumis entsprechend den Bedürfnissen des beginnenden Massentourismus startete. Diese Entwicklung kam mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 allerdings praktisch zum Erliegen. Nach Jahren der Stagnation hält aber seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts der allmähliche Aufschwung Batumis mit Auf und Ab bis heute an.

Jetzt, Anfang September, hat die Nachsaison bereits begonnen. Der Strandabschnitt, der dem Hafen zugewandt und an dem Baden eigentlich verboten ist, wie auch der mehrere Kilometer lange Strand am Batumi Boulevard sind nur mäßig besucht. Am Hafenkai angeln eine paar Georgier.

 

Geht man auf dem Batumi Boulevard Richtung Süden, stößt man bald auf Fahrgeschäfte, die aussehen, als hätten sie den Betrieb nicht nur für diese Badesaison eingestellt. Eine eigentümliche Stimmung geht von ihnen aus. Sie wirken wie aus der Zeit gefallen.

 

Hunde

Streunende Hunde sind aus dem Straßenbild der meisten Städte Georgiens nicht wegzudenken. Sie begleiten einen buchstäblich überall. Wurden sie in den 90er Jahren noch schrecklich behandelt und zum Teil auf der Straße getötet, werden sie heute durch gut funktionierende Netzwerke und Anwohner versorgt. So kommt es auch schon mal vor, dass ein kleines Hotel sich um zwei, drei der Streuner kümmert. Um ihre Zahl in Grenzen zu halten, werden die Hunde durch die Kommunen kastriert und gechipt. Allein in Tiflis gibt es nach aktuellen Angaben gleichwohl mehrere zehntausend herrenlose  Hunde. Angst braucht man vor ihnen aber nicht zu haben. Sie sind überraschend ruhig und zutraulich und verbringen zumal die heißen Tage schlafend an schattigen Plätzen.

 

Autos

Schwer zu sagen, ob die Georgier autoverrückter als die Deutschen sind. Statistisch gesehen kamen 2023 in Deutschland auf 1000 Einwohner 588 PKW, in Georgien immerhin auf 1000 Einwohner 415 PKW. Und wie in Deutschland geben auch in Georgien eine Menge Menschen augenscheinlich viel Geld für neue Autos aus.

Was Deutschland und Georgien aber auf jeden Fall unterscheidet, ist die Fahrkultur. Auf Georgiens Straßen wird auf Teufel komm raus überholt, egal ob vor einer Kurve, einer Kuppe oder bei Gegenverkehr. Wenn’s mal eng wird, drängt man sich einfach wieder rein. Was auf den Sraßen unterwegs ist, reicht dabei von ganz neu bis zu deutlich in die Jahre gekommen. Viele Fahrzeuge werden gebraucht aus Europa oder Japan importiert werden. Und so sieht man recht häufig Fahrzeuge, die ausländische Werbeaufschriften tragen oder die das Lenkrad auf der rechten Seite haben. Was irgendwann wirklich nicht mehr fahrtüchtig ist, wird dann bis auf das letzte Teil verwertet. Entlang mancher Straßen stehen auf beiden Seiten über Kilometer mehr oder weniger ausgeschlachtete Autos, von denen zum Teil nur noch das  Karosseriegerippe übrig ist.

 

Alte, ausgediente Verkehrsmittel bekommt man überraschenderweise aber auch auf dem Gelände des Flughafens von Tiflis zu sehen. Das Vorfeld ist nämlich übersät mit abgestelltem altem Fluggerät aus sowjetischer und westlicher Produktion. Und so kann man zwischen neuem und altem Terminal unter anderem einen Blick auf eine viermotorige Iljuschin Il-18, eine Antonov An-24 oder eine zweistrahlige DC-9 werfen. Sogar einige Helikopter aus sowjetischer Herstellung stehen herum.

Blick in die Zeit: Alter und Altern im photographischen Porträt

„Blick in die Zeit – Alter und Altern im photographischen Porträt“ versammelt über 170 photographische Werke von 18 internationalen Photographinnen und Photographen zu einer vielgestaltigen Darstellung des Alters und des Alterns. Zu sehen sind klassische Positionen von August Sander oder Imogen Cunningham, aber auch zeitgenössische Fotografie wie beispielsweise Serien von Natalya Reznik oder Jess T. Dugan.

Was die körperlichen Spuren des Alters für die weiblichen Rollenbilder bedeuten, reflektiert eine großformatige Arbeit Cindy Shermans. John Coplan dagegen wirft in seinen Photographien einen durchaus ironischen Blick auf sich selbst und seinen alternden Körper. Veränderungen in familiären Zusammenhängen im Laufe der Zeit wiederum werden thematisiert in Langzeitprojekten von Andreas Mader, Christian Borchert, Larry Sultan und Deanna Dikeman.

Berührend vor allem die Serie „Leaving and waving“ von Deanna Dikeman. 27 Jahre lang machte Deakan Fotos, wenn sie sich von ihren Eltern vor deren Haus in Sioux City, Iowa verabschiedete und wegfuhr: „Ich begann 1991 mit einem schnellen Schnappschuss und fotografierte bei jeder Abreise weiter. Ich hatte nie vor, diese Serie zu machen. Ich habe diese Fotos einfach gemacht, um mit der Traurigkeit des Abschieds umzugehen. Das wurde allmählich zu unserem Abschiedsritual. Und es erschien mir ganz natürlich, die Kamera zu benutzen, denn ich hatte während meines Aufenthalts jeden Tag Fotos gemacht. 2009 habe ich ein Foto gemacht, auf dem mein Vater nicht mehr zu sehen ist. Er starb wenige Tage nach seinem 91. Geburtstag. Meine Mutter winkte mir weiterhin zum Abschied zu. Ihr Gesicht wurde mit meinen Abschieden immer verzweifelter. Im Jahr 2017 musste meine Mutter in ein betreutes Wohnen umziehen. Ein paar Monate lang fotografierte ich die Verabschiedungen von ihrer Wohnungstür aus. Im Oktober 2017 ist sie gestorben. Als ich nach ihrer Beerdigung ging, machte ich noch ein Foto von der leeren Einfahrt. Zum ersten Mal in meinem Leben winkte mir niemand zurück.“

 

„Blick in die Zeit – Alter und Altern im photographischen Porträt“: noch bis zum 7. Juli 2024 in der SK Stiftung Kultur, Köln.

Bildquelle: Deanna Dikeman – Leaving and Waving

Frida Kahlo: Ihre Fotografien


„Dem normalen, unprätentiösen Betrachter wird die Sammlung neuen Anlass zur Identifikation mit Frida und Diego bieten. Und das breite Publikum wird vielleicht besser verstehen, warum ihm die Malerei dieser Künstler so viel sagt und warum es vor ihren Werken Überraschung und Bewunderung empfindet. Vor allem wird es zu seiner Freude feststellen, dass die beiden Künstler wie jeder von uns ein Fotoalbum mit Bildern ihrer Eltern, Geschwister, Cousins und Freunde besaßen, aufgenommen in Posen, Situationen und bei Tätigkeiten, die sich kaum von denen unterscheiden, die wir alle kennen. Vielleicht wird es entdecken, dass das, was auf ihren Gemälden zu sehen ist, eine wunderbare Kombination aus Vorstellungskraft und der sie umgebenden Wirklichkeit ist. Aus dieser glücklichen Mischung, befruchtet von Fridas und Diegos Talent und Sensibilität, entstanden geniale und unvergessliche Kunstwerke, die nicht nur das Leben derer, die sie geschaffen haben, abbilden und ihm Identität verleihen, sondern auch dem vieler Männer und Frauen aus anderen Zeiten und Regionen der Welt.“
Gerardo Estrada, Fridas und Diegos Welt in ihren Fotos
In: Frida Kahlo. Ihre Fotografien – Prestel

„Letzten Endes wird keine dieser Fotografien einen echten Wandel in der Kahlo-Forschung bewirken: Selbst die Bilder der identifizierten Personen sind letztlich Bruchstücke von Klatsch, festgehalten in Silber auf Gelatine, so daneben und subjektiv wie jedes Geflüster, eher Geschwätz denn Zeugnisse. Dieses Material durchzugehen erschöpft mehr als dass es erregt, es ist eher verwirrend als informativ. Ändert es die Art, wie wir uns Frida Kahlo vorstellen oder enthüllt es uns wenigstens ein paar pikante (und nicht so pikante) Details? Lenkt es uns einmal mehr von ihrer Kunst ab oder ist ihre Kunst wirklich so untrennbar mit jener Selbsterfindung verbunden, die eine Schar internationaler Persönlichkeiten angestiftet und in Gang gehalten hat, und die ihren bildhaften Ausdruck ebenso in den Fotografien (und Texten) wie in ihrer Malerei fand? Letzteres trifft, glaube ich, beides zu, auch wenn ich fürchte, in gewisser Weise selbst der Versuchung erlegen zu sein, die wir alle spüren, unsere Nase in das Privatleben anderer zu stecken.“
James Oles, Klatsch in Silber und Gelatine
In: Frida Kahlo. Ihre Fotografien – Prestel

 

Frida Kahlo: Ihre Fotografien
Opelvillen Rüsselsheim
5. November 2023 – 4. Februar 2024

Jean-Michel Landon: La vie des blocs

Das Leben in den Vororten von Paris: Über zehn Jahre hat der französische Fotograf Jean-Michel Landon dieses Leben dokumentiert. Herausgekommen ist eine Hommage an die Bewohner*innen der Pariser Vorstädte, die im Zuge weitreichender Stadterneuerungsprojekte zwar ein modernes Gesicht bekommen, in denen Probleme wie soziale Segregation und Verdrängung durch Gentrifizierung aber nach wie vor bestehen und sich weiter verschärfen. In Mannheim im ZEPHYR sind erstmals außerhalb Frankreichs 130 Fotografien des französischen Fotografen Jean-Michel Landons zu sehen. Sie zeigen vor allem auch: Momente der Unbeschwertheit, der Freundschaft und des solidarischen Zusammenlebens in den von Arbeitslosigkeit, Aussichtslosigkeit und Gewalt beherrschten Banlieues.

ZEPHYR – Raum für Fotografie | Mannheim

Landon Jean-Michel – Photograph humaniste et social: Linstable photographie

 

England: Schwerer Nebel über dem Kanal, Kontinent abgeschnitten

Bridport

 

Hive Beach

 

Lime Regis

 

London

 

North Littleton

 

Evesham

 

Chipping Campden

 

Stratford-upon-Aven

 

Hastings

 

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Verschiedene Orte