Anna Di Prospero, Selbstporträt mit meiner Mutter

Der Blick des Betrachters fällt von außen nach innen. Er steht augenscheinlich vor einer Glasscheibe, hinter der, der Bildunterschrift zufolge, die Fotografin und ihre Mutter zu sehen sind.

Die Mutter, links hinter der Tochter, hält dieser, während sie gegen den Himmel blickt, die Augen zu. Diese Geste bleibt indes in der Schwebe. Genauso wenig, wie der gebannte Blick der Mutter verrät, ob das, was vor dem Fenster am Himmel zu sehen ist, etwas Erfreuliches oder Beängstigendes ist, wird entschieden, ob die Tochter versucht, die Hände der Mutter von ihren Augen wegzuziehen, um damit selbst das Geschehen am Himmel sehen zu können, oder ob sie ihrerseits die Hände der Mutter auf ihre Augen presst, um sich vor dem Anblick zu schützen.

So bleiben die Rollen der Mutter und der Tochter in der Schwebe: versagt die Mutter der Tochter die Augen und öffnet sie ihr, wenn sie es will und für richtig hält, oder schützt sie die Tochter, indem sie ihr die Augen zuhält; versucht die Tochter sich dem Zugriff der Mutter auf das, was sie sehen und nicht sehen darf, zu entziehen, oder ist sie folgsam und verzichtet darauf, das zu sehen, was sie nicht sehen soll?

Der Betrachter steht im Angesicht dieses Geschehens buchstäblich außen vor. Gleichwohl ist er durch seine Position nicht gänzlich von dem Geschehen getrennt, das sich hinter der Scheibe abspielt. Auch wenn er sich eigentümlicher nicht in der Glasscheibe spiegelt, die ihn vom Inneren des Hauses und den beiden Frauen trennt, wird ihm durch die Möglichkeit, den Garten, der vor der Glasscheibe liegt, in dessen Spiegelbild zu sehen, eine Position innerhalb des Geschehens zugewiesen. Diese Position wird zuletzt dadurch sogar konspirativ, als auch für ihn in der Spiegelung nicht erkennbar ist, was sich am Himmel abspielt.

Fotografie Forum Frankfurt
Resistance & Sensibility
Collezione Donata Pizzi: Women Photographers From Italy
01.02. – 26.04.2020

Bild und Bildquelle
Anna Di Prospero, Selbstporträt mit meiner Mutter (2011)
https://www.fffrankfurt.org