Warum überhaupt noch fotografieren?

Jeden Tag werden Abermillionen von Foto geschossen und veröffentlicht. „Fotografieren“, sagt ein namhafter Kurator von Fotoausstellungen, „ist ein Volkssport, wie Autofahren und Fußballspielen“. Wir leben in einem „Universum der Bilder“, sagt der Philosoph Vilém Flusser, in dem die Bilder nur noch speichern, „wo der Apparat überall war und was er dort getan hat.“

Slowenien, Bled See - Screenshot (2014)Für die Bilder heißt das: Sie bleiben nicht mehr haften. Daran ändert auch die ständige Wiederholung des Gleichen im Bild nichts. Im Gegenteil. Sie verringert die Merkbarkeit. Alles schon mal fotografiert und alles schon mal gesehen. Was war das noch mal gleich, dieses Alles?

Fotos werden gemacht, um betrachtet zu werden. Wenn aber keiner sie mehr betrachtet, dann sind sie wertlos. Sie verlieren ihre Legitimation. Wozu bezeugen und aufbewahren, wenn nichts im Gedächtnis bleibt? Der Betrachter wiederum wird Indifferent und verlernt zu sehen und hinzuschauen. Er büßt seine Urteilsfähigkeit ein.

Die Betrachter von Fotografien müssen wieder eingeübt werden in Geduld und Genügsamkeit. Entdeckung der Langsamkeit bei der Betrachtung. Die Fotografen müssen eingeübt werden in Verzicht. Weniger ist mehr oder kann zumindest mehr sein. Das Bild muss dem Betrachter wieder etwas abverlangen, es muss seine Betrachtung fordern. Was wäre dafür besser geeignet als das Rätsel. Das Bild muss dem Betrachter ein Rätsel aufgeben und ihn zu dessen Lösung anhalten.

Die Geschichte, die eine Fotografie erzählt, kann rätselhaft sein. Oder der Gegenstand, den sie darstellt. Oder der Bezug, den es zu einem anderen Bild oder anderen Bildern herstellt – Hypertexte, Palimpseste.
Oder das Rätsel liegt vielleicht in einem nur winzigen Unterschied zwischen zwei Bildern. Suche den Unterschied.
Oder es ist ein Rätsel, das im Zwischenraum zwischen zwei Bildern liegt. Von einer Fotografie zur anderen ist Zeit verstrichen. Was ist in dieser Zwischenzeit passiert, wie ist es vom einen zum andern Bild gekommen? Rätsel der Erzählung oder der Produktion.