Food Porn

Das Abfotografieren von Essen hat mittlerweile auch gehobene Restaurants erreicht. Dort führt es, wie jüngst beklagt wurde, in den Küchen und im Service zu einer Veränderung der Taktzeiten und beim Kunden dazu, dass das auf den Punkt gekochte und servierte Essen schon mal kalt werden kann, bis alles abfotografiert, kommentiert und geteilt ist. Indem alle das Gleiche tun, werden Nobelrestaurants zwar noch lange nicht demokratisiert. Aber das Verhalten gegenüber dem Essen nivelliert sich.

Nun ist die Nivellierung des Verhaltens gegenüber dem Essen, die sich darin zeigt, dass mittlerweile jeder sein Essen abfotografiert und die Bilder mit anderen teilt, mit Sicherheit nicht der Zweck von Food Porn. Genau so wenig dürfte es der Zweck sein, sich einen ordentlichen Appetit an den Bildern zu holen, die man, Tag aus Tag ein, zugeschickt oder zu sehen bekommt. Was würde einem das auch nutzen, wo man Essen auf Bildern bekanntlich ja nicht essen kann.

Schottland (2017)Kürzlich erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, der den schönen Titel trug „Das Auge isst heute mal allein“. Anlass war die Ausstellung „Food for the Eyes. Die Geschichte des Essens in der Fotografie“ in der C/O Berlin Foundation. Der Autor dieses Artikels stellt gleich zu Beginn ziemlich überrascht fest, dass die eine Hälfte des Internets aus Bildern vom Essen besteht, die andere allerdings „aus Bildern von Körpern, die nur durch konsequentes Nichtessen all dieses Essens zustande gekommen sein können.“ Die „mysteriöse Schönheit des Oxymorons“, die darin zum Ausdruck komme, kann er sich allerdings nicht erklären.

Dieser Zusammenhang ist nun alles andere als eine Überraschung, dann nämlich, wenn man sich Robert Pfallers Begriff des delegierten Genießens in Erinnerung ruft. Beim delegierten Genießen handelt es sich Pfaller zufolge um eine subtile Flucht vor dem eigenen Genießen: anstatt selbst zu genießen, weil der Genuss angstbesetzt ist, lässt der Interpassive andere für sich genießen. Reale Gefühle werden abgewehrt und durch die distanzierende Vermittlung durch den Anderen ersetzt. Klassische Ersatzhandlung also. In diesem Sinne kann man das Posten und Teilen von Bildern durchaus als Angebot an die Adressaten verstehen, vom Prinzip des delegierten Genießens Gebrauch zu machen. Die nicht essen dürfen oder wollen, weil ihr Wunsch der schlanke Körper ist, erhalten mit dem Bild einen Konsumartikel, vermittels dessen sie an den Absender den Genuss zurück geben und delegieren können. Schau hin, sagt der Absender, ich schicke dir Bilder und wenn du schon nicht selbst genießen darfst oder kannst, dann kannst du jetzt vermittelt der Bilder ersatzweise mich für dich genießen lassen. Wenn Bilder vom Essen für all diejenigen, die sich die Lust am Essen versagen, also keinen Nährwert hat – denn Essen auf Bildern bleibt nun mal Essen auf Bildern – dann zumindest diesen Mehrwert. Soweit so gut.

Und die Absender? Was die betrifft, die die Bilder posten und teilen: hier ist Food Porn wohl nur ein Aspekt der allgemein erkennbaren Tendenz, alles abzulichten und lückenlos, mitunter beliebige anderen, zu teilen. Auch und vor allem im Food Porn zeigt sich, dass wir, mit Luciano Floridi zu sprechen, mehr und mehr als Inforgs an den Schnittstellen neuartiger Medien agieren und onlife leben. Weshalb denn auch alles und jedes zu jeder Tages und Nachtzeit und egal wo in’s Internet hochgeladen wird. Die klassische Trennung zwischen offline / analog und online / digital, so Floridi, ist für die digitale Existenz hinfällig geworden, und zwischen analog und digital unterscheiden zu wollen. Food Porn ist in diesem Sinn ein Aspekt eines Lebens, das onlife stattfindet.