Bodenlos

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste gleicht weniger einem Parcours, einer festgelegten Strecke, denn einem Netzwerk, das mehrere Zugänge hat und das man auf unterschiedlichen Wegen begehen kann. Hier wird nicht in herkömmlichen Sinn erzählt. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Die räumliche Anordnung wie auch die Chronologie der Stationen und Exponate spielen keine Rolle. Und tatsächlich kann man die Ausstellung auch über mehrere, gleichberechtigte Zugänge betreten.

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste folgt in Anlage und Ausführung darin ohne Zweifel Flussers Idee einer telematischen Gesellschaft, in der Informationen ohne Einschränkung allen zur Verfügung stehen und prozessiert werden können und in der das Individuum aus der Vielzahl von Kommunikationsfäden entsteht, die es durchlaufen. „Wir müssen davon ausgehen“, schrieb Flusser, „daß wir nicht etwas sind, sondern ein Wie-sich-in-Bindungen-verknoten.“ Der Mensch ist in der telematischen Gesellschaft Künstler und Spieler, nicht Subjekt, sondern Projekt, das sich im Dialog mit anderen und anderem entwirft.

Augenscheinlich wird dies in einem überdimensionalen Tableau, das in einem Netzwerkdiagramm Themen und Autoren zusammenfasst, die Flusser beschäftigt bzw. ihn beeinflusst haben. Das Wechselspiel von Beeinflussen und Beeinflusstwerden zeigt sich aber auch in den ausgestellten Videos, Hologrammen, Fotografien, Drucken und Programmemulationen. Deutlich wird, dass Flusser nicht nur Künstler angeregt hat, sondern selbst auch in die Künste eingegangen ist. Wenn Flusser in Fred Forests Video Les Gestes du Professeur Flusser in etwas theatralischer Manier professorale Gesten vorführt,  dann geschieht das nicht ohne ironischen Bezug auf sein Buch Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Und dass ein Computer, wie Flusser nicht müde wurde zu wiederholen, nicht nur kalkulieren, sondern komputieren, also Neues erschaffen kann, mündete in jenes fiktive, von Louis Bec Anfang der 1970er Jahre gegründete Institut Scientifique de Recherche Paranaturaliste, das sich in künstlerischer Weise der Weiterführung der biologischen Evolution und der Simulation neuer Lebewesen widmete. Vertreten ist natürlich auch die generative Fotografie, als einer deren Hauptvertreter der Fotograf Andreas Müller-Pohle gilt, der seit den frühen 1980er Jahren zudem als Verleger den Schriften Vilém Flussers im deutschsprachigen Raum Geltung verschafft.

Was in der Ausstellung erkennbar wird, ist aber nicht nur die Vielschichtigkeit eines weniger interdisziplinären, denn transdisziplinären Denkers und Denkens. Erkennbar wird zuweilen auch Wiedersprüchliches. Flussers Hang zum Monologisieren etwa, der schon zu seinen Lebzeiten nicht unwiedersprochen blieb und der im Wiederspruch steht zu der immensen Bedeutung, die Flusser dem Dialog insbesondere in seinem Entwurft einer telematischen Geselllschaft beimaß. Auch Flusser selbst ist dies nicht entgangen:  „Ich muss Sie warnen“, beginnt er einen Brief an einen Freund, der in der Ausstellung ausgestellt ist: „dieser Brief wird lang werden.“

Nicht minder wiedersprüchlich aber auch, dass er auf der einen Seite dem mündlichen Vortrag zeitlebens eine immense Bedeutung zumaß, in seinem pointierten geschichtsphilosophischen Diskurs über Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte die gesprochene Sprache aber rigoros außer Acht ließ.

Bodenlos. Vilém Flusser und die Künste – noch bis zum 18. Oktober 2015 im ZKM in Karlsruhe und dann vom 19. November 2015 bis 10. Januar 2016 in Berlin in der Akademie der Künste.

Bildquellen
Flusser Studies
ZKM Karlsruhe