Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen

Nicht weniger als die Schaffung einer neuen Weltordnung war das Ziel des Suprematismus, der in den 1920er Jahren die architektonische Formensprache revolutionieren wollte. Richtungen wie oben und unten, rechts und links wurden aufgehoben, wodurch geometrische Elemente in einem Raumkontinuum zu schweben schienen.

Neue Blickwinkel bestimmten aber auch die russische Fotografie dieser Jahre.

Alexander Rodtschenko etwa neigte ab 1925 in seinen Fotografien die Horizontlinie und entwickelte die Diagonale als Kompositionselement. Diese Entwicklung steht auch in Zusammenhang mit der urbanen und industriellen Entwicklung sowie der wachsenden Automobilisierung und der Fortschritte in der Luftfahrt.

Rodtschenko ging es dabei um die Emanzipation von der Malerei und ihren „reaktionären Perspektiven“. Gegen deren „zentralen Standpunkt“ propagierte er „Detailaufnahmen: von innen, von oben nach unten und von unten nach oben.“ Die Fotografie „sollte sich möglichst mit dem Abbilden der Welt von allen Punkten aus befassen, sollte zur Fähigkeit erziehen, von allen Seiten zu sehen.“ Sein Credo lautete: „Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen, der vom Nabel aus heißt.“

Alexander Rodtschenko, Reise von Moskau nach Leningrad (1929)Ausdruck dieses neuen „optischen Erkennens“ sind etwa die Fotografien, die Rodtschenko 1929 auf einer Autofahrt von Moskau nach Leningrad mit dem Dichter Wladimir Majakowski und der Bildhauerin und Regisseurin Lilja Brik machte.

Diese und andere Fotografien und Zeichnungen der russischen Avantgarde zeigt die Ausstellung „Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen“, die noch bis zum 8. März 2015 in den Opelvillen Rüsselsheim zu sehen ist.

 

Literatur
Alexander Rodtschenko, „Wege der zeitgenössischen Fotografie“ (1928). In: Bernd Stiegler, Texte zur Theorie der Fotografie, Reclam, 2010

Bildquelle
Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim