Farbe, nicht Schwarzweiß

Die farbige Fotografie hat eine lange Geschichte. Lange bevor die Gebrüder Lumière das Authochrome-Verfahren entwickelten versuchte man bereits mit den unterschiedlichsten Verfahren, die Welt fotografisch in Farbe abzubilden. So beanspruchte schon 1850/1851 der Daguerreotypist Levi Hill mit der nach im benannten Hillotypie die Erfindung der Farbfotografie für sich. Ihm folgten unter anderen Niépce de Saint-Victor mit der Heliochromie, James Clerk Maxwell oder die beiden Franzosen Louis Ducos du Hauron und Charles Cros, die seit 1862 unabhängig voneinander ein Verfahren zum Fotografieren in Farbe entwickelten, das sie 1868 dann gleichzeitig präsentierten. Die verschiedenen Verfahren wurden bereits um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in Darstellungen für eine breitere Öffentlichkeit zusammengefasst und zeitgleich erschienen auch die ersten Darstellungen zur „Geschichte und Entwicklung der Photographie und Farbenphotographie“. Mit dem Farbdruck von Illustrierten zu Beginn der 1930er Jahre stieg dann der Bedarf an farbigen Vorlagen nochmals. Endgültig setzte der Siegeszug der Farbfotografie aber erst zwischen gegen Ende der 1930er Jahre ein, als Agfa und Kodak Farbfilme auf den Markt brachten.

In ihrer künstlerischen, handwerklich anspruchsvollen Form blieb die Schwarzweißfotografie allerdings noch weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus dominant. Der amerikanische Fotograf Walker Evans etwa bezeichnete die Schwarzweißfotografie als vulgär. Und als das MoMA in New York 1976 Farbfotografien von William Eggleston ausstellte, waren die Kritiker geschockt. Farbfotografien, so die überwiegende Meinung, gehörten nicht in ein Museum. Selbst die Dokumentarfotografie hielt bis in die jüngste Zeit an der Schwarzweißfotografie fest. Die Farbe untergrabe den Wahrheitsgehalt der Fotografie, lautet der in diesem Zusammenhang der oft wiederholte Einwand.

Die Ablehnung der Farbe findet sich aber auch in Theorien der Fotografie, mögen diese auch noch so unterschiedliche Ansätze haben.

Für Walter Benjamin ist die Fotoretusche der Anfang vom Ende des Geschmacks. In seinem Aufsatz Kleine Geschichte der Photographie stellt er unmissverständlich fest: „Schließlich aber drangen von überallher Geschäftsleute in den Stand der Berufsphotographen ein, und als dann späterhin die Negativretusche, mit welcher der schlechte Maler sich an der Photographie rächte, allgemein üblich wurde, setzte ein jäher Verfall des Geschmacks ein.“

Und auch bei Roland Barthes lehnte die Farbfotografie ab. Das Missfallen an der Farbe steht bei ihm im Zusammenhang mit seiner Auffassung von einer in der einzelnen Fotografie gegebenen unmittelbaren Verbindung zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter, also damit, „daß der einstige Gegenstand durch seine unmittelbare Ausstrahlung (seine Leuchtdichte) die Oberfläche tatsächlich berührt hat, auf die nun wiederum mein Blick fällt.“ Farbe erscheint Barthes in Die helle Kammer als „Tünche, mit der die ursprüngliche Wahrheit des SCHWARZ-WEISSEN nachträglich zugedeckt wird“ , als „eine unechte Zutat, eine Schminke“. Die Farbfotografie stellt für Barthes also ein visuelles Refugium der Unwahrheit dar.

Am ausführlichsten setzt sich Vilém Flusser mit dem Thema Schwarzweiß auseinander. In für eine philosophie der fotografie kommt er auf dieses Thema im Zusammenhang mit der von ihm als naiv gekennzeichneten Auffassung zu sprechen, Fotos stellten die Welt selbst vor. Flusser zufolge kann es schwarz-weiße Sachverhalte in der Welt nicht geben, da Schwarz und Weiß lediglich Begriffe sind, „zum Beispiel theoretische Begriffe der Optik“. Schwarz-weiße Fotos versteht er in diesem Sinn als „Bilder von Begriffen der Theorie der Optik“, also als Übersetzungen von Theorien und Begriffen in Bilder, die „den theoretischen linearen Diskurs zu Flächen“ verwandeln.

Flusser sieht hierin auch die Vorliebe der Fotografen für Schwarzweißfotografien begründet. „Viele Fotografen“, schließt er, „ziehen denn auch schwarz-weiße Fotos den farbigen vor, weil sich in ihnen die eigentliche Bedeutung der Fotografie, nämlich die Welt der Begriffe, klarer offenbart.“ Diese Argumentationslinie verfolgt auch er selbst. Betrachtet man die Geschichte der Fotografie, in der zunächst die Schwarzweißfotografie und viel später erst die Farbfotografie entstand, so habe es zwar den Anschein, dass die Farben zunächst „aus der Welt“ abstrahiert und später wieder in sie hineingeschmuggelt worden seien. Fotofarben sind Flusser zufolge jedoch „mindestens ebenso theoretisch wie das Foto-Schwarzweiß.“ Mehr noch: Farbfotografien stünden „auf einer höheren Ebene der Abstraktion als die schwarz-weißen.“ Flusser führt an dieser Stelle zudem das Kriterium der Wahrheit in seine Argumentation ein. Denn weil Schwarzweißfotos ihre theoretische Herkunft deutlicher offenbaren, weniger abstrakt und damit konkreter seien, seien sie auch „wahrer“. Umgekehrt seien die Fotofarben umso „lügnerischer“, je „‘echter‘“ sie sind.

Sowohl Barthes als auch Flussers Position entbehren jedoch nicht einer gewissen Willkürlichkeit. Barthes führt gegen die durchaus abschätzig gemeinte „‚Lebendigkeit'“ der Farbfotografie die „Gewißheit“ ins Feld, dass in der Schwarzweifotografie „der photographierte Körper mich mit seinen eigenen Strahlen erreicht“. Nichts spricht indes dagegen, diese Gewissheit auch der Farbfotografie zuzuerkennen. Bei Flusser ist es die Bewertung des Abstraktionsniveaus von Farb- und Schwarzweißfotografie, die willkürlich ist. Dass die Farbfotografie auf „einer höheren Ebene der Abstraktion“ stehe als die Schwarzweißfotografie und letztere deshalb „konkreter“ und darum „wahrer“ sei, setzt nicht nur voraus, dass es Kriterien gibt, die einem erlauben, Grade der Abstraktion zu identifizieren. Es setzt auch voraus, dass das, was weniger abstrakt ist, per se konkreter ist und das Konkretere, und sei es auch nur in einem übertragenen Sinn, den größeren Wahrheitsgehalt hat.

Mittlerweile hat sich der Druck zur Rechtfertigung allerdings umgekehrt. Nicht mehr die Farbfotografie muss sich rechtfertigen, sondern die Schwarzweißfotografie. In diesem Sinn etwa weist der brasilianische Fotograf Sebastiao Salgado, der ausschließlich in Schwarzweiß fotografiert, darauf hin, dass er dies tue, weil Farben „vom Gegenstand ablenken“. Auch sein zuletzt erschienener Bildband Genesis zeigt ausschließlich Schwarzweißfotografien. Wenn die Natur, wie er es formuliert, durch seine Kamera zu ihm spricht und er zuhören darf, dann wird die „fotografische Hommage an unseren Planeten in seinem ursprünglichen Zustand“ (Taschen Verlag) in Schwarzweiß verfasst. Inwiefern eine Ablenkung stattfinden würde, wenn die Bilder in Farbe fotografiert wären, lässt Salgado in seiner hinlänglich bekannten Zuschreibung von Ursprünglichkeit und Wahrheit zur Schwarzweißfotografie allerdings offen.